Autoritär-anti-demokratischer Ungeist

■ betr.: "Stefan Heym zusammengeschlagen", taz vom 14.7.92 und Berichte und Reaktionen zum Münchner Kessel

betr.: „Stefan Heym zusammengeschlagen“ vom 14.7.92 und

Berichte und Reaktionen zum „Münchner Kessel“

Sollten uns Ereignisse wie die Brutalitäten des Münchner Kessels und der tätliche Angriff auf Stefan Heym nicht zu denken geben? Entspringen nicht beide Vorfälle dem gleichen autoritär-antidemokratischen Ungeist? Wenn es stimmt, daß beim G-7-Treffen in München nicht nur bayerische Polizisten die Knüppel geschwungen haben, muß stringent die Frage gestellt werden, ob nicht der Innenminister und der Bundeskanzler selbst dies gewünscht und angefordert haben. Das kann Streibl und Stoiber natürlich nicht aus ihrer Verantwortung entlassen, würde aber vieles erklären, z.B. die auch von der Bundesregierung vertretene Strategie der Härte gegenüber Aufmüpfigen.

Alle Warnungen besonnener Menschen, im Westen schon vor Jahren ausgesprochen, im Osten eingedenk ihrer schmerzvollen Erfahrungen, vor der Einschränkung von Demokratie und Meinungsfreiheit, haben nichts bewirkt. Mich persönlich verwundern Aktionen wie in München oder Prügel für einen Schriftsteller (79!) nicht. Das politisch-geistige Klima in der Bundesrepublik ist nicht erst seit der Vereinigung vergiftet. Es zeigte auch schon lange vorher stark autoritäre, antidemokratische, ja oftmals faschistoide Züge. Wie dumm der demokratische Lack ist, wird nach dem Vereinigungsfrust immer deutlicher. München und Köln (Heym) sind deshalb nur Schlaglichter auf eine „Volksseele“, die wieder nach dem starken Staat (Mann) verlangt.

Aus diesen Gründen ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Menschen im Osten nicht so recht an die Demokratie und den Rechtsstaat glauben wollen. Nicht nur durch Raubrittertum, Parteienfilz und die Mißachtung ihrer Rechte ist ihr Glauben erschüttert, sondern mehr noch durch die Bilder staatlich sanktionierter Gewalt gegen friedlichen Protest. (Hätte Streibl auch Kerzen in den Händen als Gefährdung der Sicherheit empfunden?) Es ist auch ihr ohnmächtiges Gefühl, jede/r aus dem Westen dürfe sie ungestraft demütigen, beleidigen oder verprügeln. Sie empfinden es deshalb als eine unbeschreibliche Heuchelei, wenn von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gesprochen wird. Es ist somit nicht nur das Bild der Bundesrepublik nach außen beschädigt worden, sondern noch viel stärker das Vertrauen der Menschen in Ostdeutschland, die sich mit Grauen an die Ängste und Demütigungen des Oktober 89 erinnern.

Wieviel Raum läßt ein Staat opponierenden BürgerInnen, egal ob West oder Ost, eigentlich noch, wenn sie sich, im gewaltfreien Protest formierend, ihre Rechte einfordern wollen? Müssen sie nicht damit rechnen, jederzeit zusammengeknüppelt zu werden? Sind nicht einmal Kinder und alte Menschen davon ausgenommen? Sollte München als Warnsignal an die Ostdeutschen gedacht sein, so würde dadurch dem Bürgerkriegsdenken in Deutschland erst recht Vorschub geleistet werden. [...] Renate Helling, Berlin