Hamburgs Staatsschutz: Ein Faß ohne Boden

■ Neue Runde im Itzehoer Prozeß gegen Knud Andresen und Ralf Gauger / Staatsschützer gesteht Verwechslung ein / Observierer sollten gegen andere Männer wegen »Terrorismus«-Verdachts ermitteln / Krappen will alles schwärzen

Am Montag geht der Prozeß gegen die beiden Hamburger Rote- Flora-Aktivisten Ralf Gauger und Knud Andresen vor dem Itzehoer Landgericht in die nächste Runde. Auf dem Programm steht die Vernehmung von vier Hamburger Staatsschützern. Das Quartett behauptet, die beiden im Rahmen einer Observation am 29. Juli 1991 bei der Durchführung eines Anschlags auf die Bahnstrecke Pinneberg-Elmshorn beobachtet zu haben, was die Angeklagten bestreiten (taz berichtete).

Auch nach 21 Tagen Beweisaufnahme ist es dem Gericht noch nicht gelungen, Licht in das Dunkel dieser zweifelhaften Geheimdienststory zu bringen. Denn die Staatsschützer mauern an allen Ecken und Enden. Der LKA-Observierer und Hauptbelastungszeuge Wolf- Dieter Martens, der für seine Aussage täglich von einer Staatsopern- Maskenbildnerin mit einer neuen Identität ausgestattet wird, verstrickt sich zunehmend in Widersprüche. Mittlerweile hat er zugegeben, daß es sich bei der rund vier Wochen andauernden Observation von Gauger/Andresen, die nicht im Zusammenhang mit der Räumung des Flora-Parks gestanden habe, um eine Verwechslung gehandelt habe. Eigentlich hätten die Beamten den Auftrag gehabt, andere Personen zu überwachen.

Diese Version, mit der Martens nach mehreren Prozeßtagen herausrückte, deckt sich auch mit Informationen der taz aus Polizeikreisen. Danach waren die Polizisten angesetzt worden, um eine Knud Andresen ähnlich sehende Person zu überwachen, gegen die im „TE“- Bereich (Terrorismus) ermittelt wird. Als die vier Staatsschützer Gauger/Andresen an jenem Nachmittag des 29. Juli 1991 nach mehrstündiger Beobachtung aus den Augen verloren, nahmen sie beide nach ihrer Rückkehr zum geparkten Fahrzeug fest. Als Grund für die Festnahme nannten die Fahnder einen Vorfall, der sich Minuten zuvor ereignet hatte. Kinder des angrenzenden Spielplatzes hatten nämlich Betonplatten aus dem Kabelschacht auf die Gleise gelegt, über die Minuten später ein Zug rollte.

Erst nach der Festnahme von Gauger/Andresen, so gesteht Martens nunmehr ein, sind die Observationsfehler aufgefallen. Martens selbst habe dann mit seinem Dienststellenleiter Lütjens Kontakt aufgenommen, der ihn angewiesen habe, zum Schutz weiterer „TE“- Ermittlungen eine falsche Version in die Anzeige zu schreiben — nämlich, daß das Fahnder-Quartett Gauger/Andresen im Zusammenhang mit geplanten Flora-Aktivitäten beschattet hätte. Weil Andresen/Gauger nach ihrer Festnahme sechs Wochen in Untersuchungshaft gesteckt wurden, müssen die Staatsschützer allerdings jetzt bei der Version bleiben, die beiden auf den Gleisen gesehen zu haben, um nicht wegen falscher Anschuldigungen belangt zu werden.

Das Itzehoer Landgericht ist über den schleppenden Verfahrensgang sichtlich genervt. Immer wieder beißt sich das Gericht am Hamburger Staatsschutz die Zähne aus, wenn es um die Vorlage von Beweismaterial wie Observationsberichte, Beschattungsaufträge oder anderer Dokumente geht. Die Rechtsabteilung weigerte sich beispielsweise, die während der Observation von Knud Andresen gefertigten Fotos vorzulegen, weil dies eine „Gefährdung der laufenden Ermittlungen“ („TE“-Bereich) bedeute. Und Hamburgs Polizeichef Heinz Krappen weigerte sich, Observationsprotokolle herauszurücken. Um Rückschlüsse auf das

1„TE“-Verfahren zu vermeiden, würde die Polizei ohnehin alles schwärzen, so daß nur noch der Dienststellenbereich „LKA 3“ und der Ort der Observation „Hamburg“ zu lesen wären, schrieb Krappen dem Gericht. Der Vorsitzende Richter Manfred Selbmann hat deswegen den Glauben an die Rechtsstaatlichkeit der Polizei verloren. Seine Einschätzung: „Der Hamburger Staatsschutz ist ein Faß ohne Boden.“ Kai von Appen