Meine süßen Zuckerjungs

■ Petra Husheer, Schauspielerin bei Blaumeiers, über die Kunst des Überlebens und den Schrecken der Familie: „Das ist wie Krieg“

Petra Husheer, 29, ist knapp entkommen und hatte eine Kindheit, für die sie ihre Eltern noch heute haßt. Bald kam sie, wie sie sagt, „ins Hospital“. Heute lebt Petra Husheer in einer Wohngemeinschaft, arbeitet tagsüber in einer Schneiderei und verbringt den Rest ihrer Zeit bei Blaumeiers, dem unvergleichlichen „Projekt für Kunst und Psychiatrie“ in Walle. Ihr Solotheaterstück „Zuckerjungs“ geht, wo immer sie es aufführt, den Leuten durch Mark und Bein. Der taz erzählte sie aus ihrem Leben.

Petra Husheer: Siehste, das hier sind meine Zuckerjungs (zeigt ein Modern-Talking-Foto im Medaillon), die find ich so süß.

Und auf der Bühne? Spielst du die Zuckerjungs selber?

Nee, brauch ich nicht, die sind schon da. Ich spiel eben so. Ich hab das in meinem Zimmer ja auch schon immer so gemacht, hab Rabatz gemacht mit denen, wir haben uns immer so'n bißchen unterhalten.

Mit dem kleinen Foto?

Nein, da hab ich ein ganz großes Plakat mit denen, da haben wir alles mögliche gemacht, gesungen, viel gelacht.

Quasi ein Zimmertheater allein.

Ja, war nie wer dabei. Aber später mal, bei Blaumeiers, da dacht ich, man könnte doch mit meinen niedlichen Zuckerjungs mal was machen.

Wenn sie schon das Talent haben.

Genau.

Und wer ist noch dabei?

Jonas.

Wer ist Jonas?

Mein kleiner Freund. Hab ich mir selbst genäht.

Noch wer?

Superfelix. Das bin ich. Superfelix ist Rockstar und Trainer im Weserstadion und Showmaster, richtig mit Kandidaten.

Wo hast du singen gelernt?

Ach, ich war mal im Kinderheim, da hatte ich eine Mundharmonika; ich war immer schon musikalisch.

Kommst du oft hierher zu Blaumeiers?

Jeden Tag nach der Arbeit. Und am Abend bin ich meistens die letzte.

Willst du hier wohnen?

Ich möchte hier wohnen.

Und wie vergehen die Wochenenden?

Da schlaf ich aus oder hör Musik auf meiner Anlage. Die hab ich mir mal von meiner Gage gekauft.

Gage?

Klar, für die „Zuckerjungs“. Ich führ die oft auf, in Goslar mal oder neulich in Frankfurt. Ja, was mach ich sonst? Ich such mir jemand zum Klönen, aber am liebsten unterhalt ich mich mit meinen Jungs. Das ist immer mein Gag.

Was wirst du tun, wenn es eines Tages für Blaumeier kein Geld mehr geben sollte?

Dann werd ich eben ein Star und spiel das ein.

Wie hast du den Laden kennengelernt?

Ich war da vor sechs, sieben Jahren immer im Lagerhaus, und wenn das Theatre du Pain spielte sowieso; und ich immer mittendrin auf die Bühne und funkte dazwischen und schnappte mir die Gitarre und sang „Rock My Soul“, da war ich voll auf Power, was!

Einfach auf die Bühne?

Ja, und die Leute haben gelacht, und ich hab rumgekalbert, und Walter saß auch da unten und war fasziniert und fragte mich, ob ich nicht zu Blaumeier wollte, und so. Das war's.

Da bist du hängengeblieben?

Ja, weil ich das alles so lustig fand. Nur manchmal, wenn sie alle Muffel haben, das kann ich nicht ab. Da muß ich rumkalbern. Und bald hab ich angefangen, Theater zu spielen, mit Tüchern und ohne, alles mögliche, bis Barbara meinte, ich sollte doch mal eine Frau spielen. Ich hatte ja immer nur Männer gespielt bis dahin. Da haben sie mich verführt zur „Rock-Lady“, so richtig mit langen Kleidern.

Es geht also doch?

Ja, hier hab ich ja nix zu befürchten, hier gibt's keine gefährlichen Männer.

Gefährliche Männer?

Na ja...

Sonst trägst du nie Kleider?

Nie. Ich kann die nicht leiden.

Gibt's Sängerinnen, die du gut findest?

Nur Männer hab ich als Stars. Power find ich gut. Frauen? Weiß ich nicht.

Nicht lustig genug?

Nee.

Was ist das Gegenteil von lustig?

Das Gegenteil von lustig ist Krieg. Ich hasse das. Meine Betreuerin hat mich immer im Zimmer eingesperrt, das war eine Alkoholikerin und morgens schon zu. Die haben mich andauernd getriezt, immer nur mich, immer kriegt ich gleich eine geknallt, ich hab geschrien. Auch mein Vater hat mich geprügelt, immer. Das ist wie Krieg.

Auch dein Vater?

Der? Wenn ich den mal alleine treffe, dem tret ich eine rein, dem knall ich so eine! Die Alten, die sind für mich gestorben, alle beide. Und mein Vater, das Dreckschwein, bis heute grabbelt er an mir rum, wenn er mir nahe kommt. Immer mußte ich nur nackend rumlaufen und traute mich nichts zu sagen und hab immer geträumt von einer Torte, aber plötzlich kam eine bissige Schlange raus. Immer war ich verzweifelt, aber jetzt denk ich an die Guten.

Wie bist du da rausgekommen?

Ich bin abgehauen zu Andrea, dann kam ich ins Heim, aber da haben sie mich gequält, und meine Eltern haben mich wieder rausgerissen, dann kam ich wieder ins Heim, doch das hab ich auch nicht ertragen, ich wollte nur immer nach Bremen zurück, aber bloß nicht zu meinen Eltern. Also wieder abgehauen, eine Woche ohne Essen, und...

Und dann?

Hab ich meine WG gekriegt. Da isses toll. Ich hab meinen eigenen Schlüssel, und die Leute sind alle sehr nett.

Dort hast du dein Zimmer mit Zuckerjungs und allem Drum und Dran.

Ja, wir haben viel Spaß.

In deinem Theaterstück auch?

Nicht immer. In der vierten Szene ist Superfelix total schlapp und hat gar keinen Bock mehr, der tolle Typ, jetzt ist ihm klar geworden, daß er gar nichts kann, nicht mal Gitarre spielen, er frißt nur noch Schaumgummi und Negerküsse und kommt nie mehr aus seinem Zimmer raus, und die Zuckerjungs machen sich über ihn lustig.

Selbst die Zuckerjungs? Warum?

Er ist ja 29 und wohnt immer noch bei der Mutter. Die ist aber immer weg, und nur Jonas ist da, und plötzlich bricht Felix zusammen und weint und sagt „Jonas, Jonas, was soll ich nur tun?“ Und die Tränen, die kommen mir dann wirklich. Und dann flüstert mir Jonas ins Ohr: „Aber du bist doch ein Traumstar.“

Ist das das gute Ende?

Noch nicht. Die Mutter kommt, und Felix sagt traurig: „Mama, bist du das? Wo warst du denn so lange?“ Aber die Mami ist schon wieder in der Küche. Und dann ruft sie zum Essen. Interview: Manfred Dworschak