: Miyazawas unerwartete Wiedergeburt
Die japanischen Oberhauswahlen am Sonntag versprechen dem Premier eine zweite Chance ■ Aus Tokio Georg Blume
Für Premierminister Kiichi Miyazawa könnte es das schönste Wochenende seiner langen politischen Laufbahn werden. Nippons international bislang erfolgloser Regierungschef steht kurz vor dem wichtigsten Wahlerfolg seiner Amtszeit. Glaubt man den Trends der Umfragen, dann wird Japans ewige Regierungspartei, die Liberal-Demokratische Partei (LDP), bei den Parlamentswahlen zum Oberhaus am Sonntag einen überzeugenden Sieg davontragen.
Wen diese Meldung wenig überrascht, der lasse sich an den Sommer 1989 erinnern: Damals fanden die letzten Oberhauswahlen statt, und eine Frau namens Takako Doi schien auf dem besten Weg, Japan auf den Kopf zu stellen. Inzwischen ist die charismatische Führerin der Sozialdemokraten zurückgetreten, und die Frauen sind wieder ins politische Abseits verwiesen. Doch noch immer hält Dois ebenso grandioser wie unwiederholbarer Wahlsieg die japanische Politik in Atem. Seit dem Sommer 1989 verfügt die LDP nämlich nicht mehr über die absolute Mehrheit im Oberhaus, und auch bei den Wahlen am Sonntag wird es ihr nicht gelingen, diese Mehrheit zurückzugewinnen.
Der Grund dafür liegt im Wahlsystem fürs Oberhaus, das man einst vom amerikanischen Senat übernahm. Die Wahlen finden zwar alle drei Jahre statt, doch es wird bei jeder Wahl immer nur die Hälfte der Oberhaussitze vergeben. Die Mandatsdauer beträgt also sechs Jahre. Die meisten Oppositionsabgeordneten, die 1989 unter Doi gewählt wurden, behalten deshalb weitere drei Jahre ihren Sitz. So lange muß die LDP auf ihre Mehrheit noch warten.
Diese Komplikationen der japanischen Innenpolitik bleiben nicht ohne Auswirkung für den Rest der Welt. Weil nämlich die LDP seit Ende des Kalten Krieges ständig um Kompromisse im Parlament ringen muß, fällt es ihr schwer, außenpolitisch dringend notwendige Grundsatzentscheidungen zu treffen. Bestes Beispiel dafür ist das weltpolitisch längst überholte Reisimportverbot, welches freilich ohne Zustimmung des Oberhauses nicht wegzuschaffen ist.
Tokios Oberhaus, wenngleich weniger einflußreich als der Senat in Washington, ist eben nicht machtlos. Alle Gesetze — mit der wichtigen Ausnahme des Staatsbudgets — bedürfen seiner Zustimmung. Es kann nicht — wie etwa der deutsche Bundesrat — mit einer zweiten Abstimmung im mächtigeren Unterhaus überstimmt werden.
Das Regieren ist damit für die LDP schwieriger geworden. Premierminister Miyazawa, der mit Ausnahme des neuen Blauhelmgesetzes und einer Finanzreform bisher bei jedem anderen umstrittenen Gesetzentwurf gescheitert ist, kann davon ein Lied singen. Verzweifeln aber muß er nicht. Da die japanischen Oppositionsparteien nach ihrem Streit ums Blauhelmgesetz untereinander zerstrittener sind als je zuvor, droht von ihnen keinerlei ernst zu nehmende Regierungsalternative. Wichtiger noch: Die Bestechungsskandale, die noch vor kurzem die Regierung ins Wanken brachten, sind vorläufig in den Mühlen der Justiz untergegangen. Statt dessen sorgt sich die Bevölkerung wieder mehr um die Wirtschaft, was noch immer der LDP hilft.
Sogar in der eigenen Partei steht Miyazawa derzeit konkurrenzlos da. Sein bisheriger Nebenbuhler, Außenminister Michio Watanabe, ist schwer krank. Dem Premierminister kommt die Wahl am Sonntag gerade zur rechten Zeit: Ein gutes Abschneiden seiner Partei müßte nämlich zwangsläufig als persönlicher Erfolg Miyazawas ausgelegt werden. Für den bislang unpopulären Regierungschef bietet sich völlig unerwartet eine zweite Chance.
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