JUGOSLAWIENS ROCKMUSIKER KÄMPFEN GEGEN DEN KRIEG

Gitarren gegen Milosevic

Berlin (taz) — Den 25.Mai feiert man in Jugoslawien seit jeher als „Tag der Jugend“. An dieser sozialistischen Tradition hat auch der Zerfall des Landes nichts geändert. Nur auf die Meinung derjenigen, die an diesem Tag im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen sollten, geben Belgrads kriegslüsterne Machthaber mittlerweile wenig. Denn die jungen Leute aus der serbischen Hauptstadt Belgrad, aus Kroatien, Slowenien und den anderen Teilrepubliken stehen mehrheitlich in Opposition zu den alten Männern im serbischen Parlament. Am diesjährigen „Tag der Jugend“ wurden die jugoslawischen Rockbands stellvertretend für ihre Altersgenossinnen zum Sprachrohr, Gruppen wie „Ekatarina Velika“ (Katharina die Große), „Partibrejkers“ (Ungebetene Gäste), „Obojeni Program“ (Buntes Programm) und „Elektricni Orgazam“ (Elekrischer Orgasmus) spielten auf dem Platz der Republik und beschallten das gegenüberliegende Parlament. So sehr sich die Stilrichtungen auch unterschieden, so einig waren sich die Beteiligten in der Wahl ihrer Parole: „Zählt nicht auf uns!“

Der Berliner Musiker und Journalist Rüdiger Rossig ist für die Zeitschrift Sounds nach Belgrad gefahren, um mit den aufmüpfigen Musikern zu sprechen. So findet sich in der Augustausgabe des Magazins zwischen einem Interview mit Keith Richards und einem Feature über schwere Harley Davidsons ein nicht alltäglicher Bericht über die jugoslawische Rock- und Popszene, die angesichts der Aggression des Milosevic-Regimes ihre Musik als gewaltfreies Kampfmittel einsetzt. Doch auch der Widerstand mit Gitarre und Mikrophon ist nicht ungefährlich. Regierungstreue Fanatiker stören regelmäßig Protestkonzerte, indem sie beispielsweise Tränengasgranaten in Richtung Bühne schleudern. Die Mitglieder der All-Star-Formation „Rimtuti Tuki“ (ein Anagramm auf „Turim ti Kitu“ = „Ich ficke dich“) machten bereits leidvolle Erfahrungen mit derartigen Aktionen. „Rimtuti Tuki“ besteht aus Musikern der populärsten jugoslawischen Bands. Sie haben eine Antikriegs-Single eingespielt mit dem Titel „Mir, Brate, Mir“ = „Friede, Bruder, Friede“. Obwohl sie die Platte an alle europäischen Rundfunkstationen geschickt haben, war die Resonanz gering. Im Lande selbst ist der Song längst zur Hymne geworden, verbreitet durch unabhängige Fernseh- und Radiosender sowie durch zahlreiche Konzerte der Band, die auch schon mal auf einen Lastwagen steigt und musizierend durch die Straßen Belgrads fährt. Die Künstler, für die Talent und Können schon immer wichtiger waren als die Herkunft, planen noch wagemutigere Aktionen: Musiker, Schauspieler und Journalisten wollen per Bus nach Slowenien fahren und die freundschaftlichen Kontakte aus der Vorkriegszeit reaktivieren.

Gegen den Krieg, aber auch gegen die pauschale Verurteilung seitens der westlichen Länder wehren sich die einheimischen Intellektuellen und Musiker, die sich zum ersten Mal zu gemeinsamen Aktionen zusammengefunden haben. Milan Mladenovic, Gitarrist bei „Ekatarina Velika“ dazu: „Wir können nicht erwarten, daß ein Song die Leute ändert. Aber wir können beweisen, daß nicht alle Serben für Milosevic sind — und damit für den Krieg.“ Harald Keller