Perus Hauptstadt ist Kriegsschauplatz

„Sendero Luminoso“ ruft erneut zum bewaffneten Streik auf/ Bombenanschläge und Terror/ Präsident Fujimori konzentriert alle Macht in seinen Händen, aber dies fördert nur die Eskalation  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — Paro armado, bewaffneter Streik, heißt die Kampfform, mit der die maoistische Guerillaorganisation Sendero Luminoso gestern und heute zum zweitenmal innerhalb einer Woche versucht, die peruanische Hauptstadt Lima lahmzulegen und ins Chaos zu stürzen. Es ist eine blutige Kraftprobe, mit der die Aufständischen beweisen wollen, daß die Repressionskampagne des diktatorisch regierenden Staatschefs Fujimori ein Schlag ins Wasser ist. In Vorbereitung auf den Streik hat die Armee in den letzten Tagen größere Razzien in den Armenvierteln von Lima durchgeführt.

Ein erster „bewaffneter Streik“ letzte Woche bewog Fujimori, seine Reise zum iberoamerikanischen Gipfel in Madrid abzusagen, wo er die These vertreten wollte, der Terrorismus in Peru sei auf dem Rückzug. Ein von Sendero verhängtes allgemeines Fahrverbot wurde mit Straßensperren aus brennenden Autoreifen, Bombenattentaten und Anschlägen auf Busse und Taxifahrer durchgesetzt. Bomben wurden vor einer Schule, mehreren Polizeiposten, der bolivianischen Botschaft und dem Nationalmuseum gezündet. Der Sachschaden ist erheblich, der Verlust historischer Exponate im Museum unersetzlich.

Schon eine Woche zuvor, am 16. Juli, hatte Sendero mit einer Autobombe in einer belebten Straße des eleganten Stadtteils Miraflores den bisher schwersten Anschlag in der Hauptstadt verübt. Das glaubt zumindest Alberto Carmona, der Bürgermeister von Miraflores. Über 30 Tote wurden geborgen, mehr als 200 Passanten und Anwohner verletzt.

Die beiden bewaffneten Streiks sind die ersten, seit Alberto Fujimori am 5. April das Parlament aufgelöst und alle demokratischen Kontrollinstanzen lahmgelegt hatte. Die Machtdemonstrationen der skrupellosen Guerilla werden nicht nur von der Regierung gefürchtet: Beim letzten paro armado im Februar wurde Maria Elena Moyano, die populäre Bürgermeisterin des Armenviertels Villa El Salvador, veschleppt und in die Luft gesprengt. Sie hatte versucht, den Einfluß von Sendero in ihrem Viertel einzudämmen.

Die Taktik der Senderistas, ihre Basis durch nackten Terror zu verbreitern, hat augenscheinlich Erfolg — allerdings nur kurzfristig, wie Javier Diez Canseco, der Vorsitzende der wichtigsten Linkspartei PUM, hofft. Die PUM beruft sich auf den nationalistischen Vordenker der peruanischen Linken, den 1930 verstorbenen Jose Maria Mariategui, der in den 20er Jahren eine Allianz zwischen der Sozialistischen Partei und der Gewerkschaftsbewegung zu schweißen versuchte. Das Fehlen einer authentischen Basis sei die große Schwäche von Sendero Luminoso, meint Canseco, dessen Partei vierzehn wichtige Kader durch Attentate der maoistischen Fundamentalisten verloren hat. Der Politiker, der ein Mandat im aufgelösten Senat innehatte, befürchtete letzte Woche im Gespräch mit der taz weniger eine totale Machtübernahme Senderos als eine Libanisierung des Landes: „Die Aktionen von Sendero fördern nur die Militarisierung des Staates und rechtfertigen die Diktatur“.

Verschiedene Landesteile werden von rivalisierenden bewaffneten Gruppen beherrscht, die Hauptstadt ist Kriegsschauplatz. Razzien in einer Reihe konspirativer Häuser haben vor allem die marxistische Tupac-Amaru-Bewegung (MRTA) getroffen, deren wichtigste Anführer, allen voran der vor wenigen Jahren aus dem Gefängnis entkommene Victor Polay, wieder hinter Gittern sitzen. Sendero hat sich demgegenüber seine Schlagkraft in der Hauptstadt offenbar erhalten. Das Gros seiner Truppen soll aber im Alto Huallaga konzentriert sein. Dort, im größten Kokaanbaugebiet der Welt, liegt die Schatzkammer der Organisation, die es zu verteidigen gilt.

Bisher konnte Fujimori, der unmittelbar nach seinem „technischen Putsch“ in den Meinungsumfragen mehr als 80 Prozent Zustimmung einheimste, alle diktatorischen Maßnahmen mit der terroristischen Bedrohung rechtfertigen. Gegen die Stürmung des von politischen Häftlingen verteidigten Gefängnistraktes in Canto Grande am 10. Mai regte sich kaum Protest. Aber das vor einem Monat verhängte nächtliche Fahrverbot ist genauso unpopulär wie wirkungslos. Während die Polizei mindestens einen harmlosen Autofahrer erschoß, legen Senderistas weiterhin Bomben in allen Teilen Limas.

Inzwischen ist „Chinochet“, wie der Sohn japanischer Einwanderer wegen seiner Bewunderung für das chilenische Pinochet-Modell genannt wird, in den Umfragen um zwanzig Punkte abgerutscht. Außerdem bekommt er Schwierigkeiten mit der Armee, ohne deren Rückendeckung er sein autoritäres Abenteuer gar nicht hätte beginnen können. Auf eine Reihe von Umbesetzungen in den Streitkräften mußte Fujimori verzichten, als der Generalstab Anfang des Monats in einer öffentlichen Erklärung jedwede Veränderung in den höheren Offiziersrängen ausschloß.

Der Staatschef profitiert noch immer davon, daß die traditionellen Parteien hoffnungslos diskreditiert sind. Expräsident Alan Garcia, der als eloquenter Oppositionsführer gefährlich werden könnte, ist vor einem Haftbefehl ins Exil nach Kolumbien geflüchtet. Deswegen gibt es gegen die für November angesetzten Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung, von der Berufspolitiker ausgeschlossen sein sollen, kaum Proteste. Die Verschiebung sine die der für November anberaumten Gemeindewahlen hat allerdings in den Kommunen böses Blut geschaffen. Denn nach der Auflösung der Regionalräte ist alle Macht in Lima konzentriert. Und so soll es, wie es scheint, auch bleiben.