Verfassungsschützer suchen Perspektive

■ Spionagejäger wollen DDR-Regierungskriminalität bekämpfen/ Staatssekretär Jäger will zukünftig Wirtschaftsspionage bekämpfen lassen

Berlin. Das »Lagebild der Spionageabwehr«, wie es der jüngste Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) zeichnet, ist trübe. Wohin die beamteten Späher ihr Auge auch wenden, das nachrichtendienstliche Gegenüber jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs droht abhanden zu kommen. Über die Aktivitäten der Spione des zerfallenen Jugoslawien in Deutschland »liegen keine Erkenntnisse vor«, auch Bulgariens Späher haben sich von Deutschland ab und »nach vorliegenden Erkenntnissen, der Türkei zugewandt«. Beim Berliner »Büro der Rumänischen Botschaft«, Residenz der rumänischen Schnüffler, machte das LfV einen »Rückgang der Beschäftigungszahl« aus. »Keine verläßlichen Angaben« sind über tschechische und polnische Geheimdienstarbeit zu vermelden, einschlägige ungarische Bemühungen »konnten nicht festgestellt werden«. Einzig über die Weiterarbeit des KGB »können noch keine abschließenden Aussagen gemacht werden«.

Für die rund 77 Berliner Abwehrkämpfer an der Spionagefront ist das jedoch nur ein schmaler Silberstreifen, sie sehen sich mittlerweile nach anderen Beschäftigungen um. Ein Großteil von ihnen will seine spezifischen Kenntnisse der ehemaligen DDR nutzbringend weiterverwenden und bewirbt sich mittlerweile bei der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität (ZERV). Wie der Staatssekretär der Innenverwaltung Armin Jäger (CDU) im Gespräch mit der taz erklärte, werden die ehemaligen Geheimdienstler zu Polizeibeamten umgruppiert. Dort bietet sich ihnen ein krisenfester Job, denn die ZERV wird 10 bis 15 Jahre mit der Aufarbeitung der kriminellen Altlasten beschäftigt sein. Mit der Verlagerung des Tätigkeitsfeldes schlägt die Innenverwaltung drei Fliegen mit einer Klappe. Zum einem entspricht sie damit den Vorgaben der Senats, der für dieses Jahr eine Reduzierung der Stellen beim LfV um 59 auf knapp 250 beschlossen hat. Zum anderen erwartet Jäger, daß sich an der Finanzierung der verlagerten Stellen bei der ZERV der Bund und die anderen Länder beteiligen. Zugleich entledigt sich das Amt damit eines Teiles seiner Mitarbeiter, die »verbrannt« sind, weil sie vom ehemaligen MfS enttarnt und erfaßt waren. Es entspricht damit einer Empfehlung der Boeden-Kommission, die im Frühjahr Leitlinien zur Weiterarbeit des LfV vorgelegt hat. Die Expertengruppe unter Leitung des ehemaligen Chefs des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte sich dafür ausgesprochen, daß alle Mitarbeiter die »abgeklärt und ausgespäht worden sind«, an andere Behörden versetzt werden. Kenner der Szene gehen davon aus, daß dieser Makel wahrscheinlich an allen Bediensteten haftet, doch macht Jäger bei den Konsequenzen eine Differenz zwischen den operativ Tätigen und den Bürokräften.

Auch wenn sie dezimiert werden sollte, eine Abteilung Spionageabwehr will Jäger im LfV auf jeden Fall beibehalten, »weil wir nicht wissen, wie sich die KGB-Einrichtungen entwickeln«. Sorge bereiten ihm besonders deren Kontakte zu ehemaligen Stasi-Leuten. Ein neues Beschäftigungsfeld ortet der Staatssekretär zudem im Bereich der Wirtschaftsspionage, die, nach seiner Auffassung, »der Staat in eigener Zuständigkeit bekämpfen soll«. Den privaten Unternehmern will er diese Arbeit nicht überlassen, denn die »werden sicher immer an der Grenze der gesetzlichen Grundlage reiten«. Jäger weiß, daß eine Bekämpfung der Wirtschaftsspionage »durch die gesetzliche Grundlage des Verfassungsschutzes nicht gedeckt« ist, doch sei dieses neue Operationsgebiet bereits Gegenstand der Beratungen auf Bund-Länder-Ebene.

Probleme mit der Skinheadszene

Im zweiten Arbeitsgebiet des LfV, der Extremismusbekämpfung, wird keine Reduzierung des knapp hundertköpfigen Mitarbeiterstamms erwogen, vielmehr strebt das Amt hier eine Personalauffrischung an. Denn die Altersstruktur ist, nach Jägers Einschätzung, ungünstig. Seit letztem Jahr ist die militante Skinheadszene Beobachtungsobjekt der Verfassungsschützer, doch haben sie vor allem hier Schwierigkeiten, Einblicke zu gewinnen. Neben der Altersdifferenz macht den Westspähern zu schaffen, daß sie den östlichen Sprachgebrauch nicht gewöhnt sind. Das Handwerk der V-Leute, links wie rechts, werde zudem, so Jäger, durch die klare Weisung erschwert, keine Straftaten zu begehen. Der Staatssekretär ist sich sicher, »daß das Amt noch bessere Arbeit leisten kann«, eine weitere Reduzierung des Personals über den bereits angepeilten Stamm von 250 Mitarbeitern hinaus, hält er deshalb für nicht vertretbar. 1993 werde es keine weiteren Kürzungen geben. Diese Auffassung wird allerdings von der Opposition nicht geteilt. Die Vertreterin der Fraktion Bündnis 90/ Grüne im Verfassungsschutzausschuß, Renate Künast, will im Rahmen der Haushaltsberatungen auf weitere Personalreduzierung drängen. Doch auch der Senat ist vom Sinn des Amtes nicht mehr vollends überzeugt. Er beschloß bereits auf seiner Klausur im Juni, so sein Sprecher Eduard Heußen, im kommenden Jahr weitere 40 Stellen zu streichen. Dieter Rulff