Kirschcolliers und Museumsbananen

■ Teil 10 der taz-Sommerserie vom Leben an der deutschen Küste: Chi-chi im „Café Wichtig“

Auf der Kurpromenade verkauft ein lässiger, junger Mann mit Sonnenbrille bunte Bälle, die genau das nicht tun, wofür ein Ball eigentlich gedacht ist, nämlich wegfliegen. Der Clou der Konstruktion besteht darin, daß an den Ball eine elastische Gummileine angeschweißt ist, die sich das Kind um den Bauch bindet. Vergeblich versucht der Ball, große Sprünge zu machen, er kommt gnadenlos zurück.

„Sogar die Möwen sind hier weißer als anderswo“, bemerkt ein Herr auf der Timmendorfer Seebrücke, dem zuvor schon die blühenden Rosen und Palmen auf der Strandallee ins Auge gestochen waren, die den Ortskern wie zufällig ganz weit im Süden gelegen erscheinen lassen sollen: das Flair der großen, weiten Welt. Timmendorfer Strand ist an der Ostsee das Kontrastprogramm zu beschaulichen Familienferien mit viel frischer Luft und sonst gar nichts. Wer sich im Mini-Zentrum des Orts umsieht, soll nichts vermissen, was er zu Hause — vornehmlich in Hamburg — lieb gewonnen hat. Diverse Luxus- Boutiquen lassen keinen Wunsch nach angesagten Markennamen offen, selbst das Obst wird in den „Südfrüchte“-Läden so präsentiert, als handele es sich bei jeder Sauerkirsche um ein Collier.

Mittendrin liegt das „Café Engel“: „Da muß man gewesen sein“, schreibt der szenig aufgemachte Reiseführer mit den Insider-Tips über diese Präsentier-Terrasse, sagt aber nicht warum. „Café Wichtig“ nennt es der Ballverkäufer, sitzt trotzdem dort, wenn er nicht gerade seine Bälle verkauft. Die Tasse Kaffee kostet kurz vor fünf Mark, da möchte man doch wissen, wer für soviel Geld neben einem sitzen könnte.

Das mitzuteilen wäre die Aufgabe der Presse, doch die Sommer-Redaktion einer Lokalzeitung kümmert sich lieber um das Bananen-Museum in Sierksdorf, die schönsten Fahrradtouren in die Umgebung sowie heimische Künstler. Das Resümee der Volontärin ist ernüchternd: „Ich weiß gar nicht, wie öde ich diese Küste finden soll und was die ganzen Urlauber da wollen, aber das kann ich natürlich nicht schreiben.“ So genau wissen das zwei junge Mädchen aus Itzehohe auch nicht, die den Nachmittag im Waschsalon verbringen, damit sie abends saubere Sachen für den Gang auf die Piste haben. Früher oder später werden sie wieder im „Club Nautic“ landen, der einzigen Disco in diesem als mondän geltenden Urlaubsort. Der Club wirbt mit seinem 20jährigen Bestehen, und innen sieht man, daß kein Tag davon spurlos an ihm vorbeigegangen ist. „Da kannst du die Schnösel beim Absaufen sehen“, sagt der Ballverkäufer, „teuer und langweilig“. Timmendorfer Strand ist die Neureichen-Variante der neunziger Jahre: der Geschmack hat sich mit dem Reichtum vermehrt, aber der Sinn ist auf der Strecke geblieben: Wem das Chi-chi-Getue nutzt — außer den Geschäftsleuten —, kann keiner erklären, schon gar nicht die Jugendlichen, die vor der Disco stehen und keine Lust haben, fünf Mark dafür zu bezahlen, daß ihnen mäßige Musik auf gemäßigter Lautstärke in die Ohren geblasen wird.

An ihnen schlendern einsame Damen vorbei, die später doch im „Vogue“, dem Treffpunkt einsamer Herzen mittleren Alters, vorbeischauen. Ein paar Häuser weiter freie Hotelzimmer für 250 Mark die Nacht und das örtliche Bestattungsunternehmen „Hopp“: Schöner Leben, schneller sterben in Timmendorfer Strand. Lutz Ehrlich