Der Dienstweg als Hindernislauf

■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit (Teil 3): Wie es geschah, daß ein zu Unrecht Inhaftierter Wochen auf seinen Haftprüfungstermin warten mußte

(Teil 3): Wie es geschah, daß ein zu Unrecht Inhaftierter Wochen auf seinen Haftprüfungstermin warten mußte

Ein Mann sitzt im Knast. Eigentlich wegen einer Lappalie. Er hatte aus einer vergangenen Verurteilung noch Bewährung laufen und hatte sich entgegen der Auflage nicht regelmäßig bei der Polizei gemeldet. In derartigen Fällen wird manchmal ein Haftbefehl erlassen, und die betreffende Person geht — wenn sie erwischt wird — ins Gefängnis.

Wenn der oder die Betroffene einen festen Wohnsitz hat, bewirkt ein Antrag auf Haftprüfung im allgemeinen eine Aufhebung der Haft. Es werden neue Melderichtlinien vorgegeben, die Verpflichtung vereinbart, jeden Wohnsitzwechsel an das Gericht mitzuteilen, dann kann der/die Untersuchungsgefangene wieder gehen. Das Ganze sollte binnen weniger Stunden, in jedem Fall aber binnen eines Tages erledigt sein. Das könnte es auch, wenn nicht 150 Meter Dienstweg zu bewältigen wären.

Das Gericht muß die Akte der

1zu verhandelnden Sache von der Staatsanwaltschaft anfordern. In Hamburg sitzt das Gericht im Gebäude Sievekingplatz 3, die Staatsanwaltschaft im Gebäude Gorch- Fock-Wall 15. Zu Fuß sind dies ungefähr 150 Meter, Luftlinie maximal 100 Meter. Bei großzügiger Zeitberechnung ist ein bringen oder holen der Akte in einer halben Stunde sicherlich möglich. Zunächst wird die Akte schriftlich angefordert, natürlich auf dem Dienstweg: Die Anforderung geht nicht in die normale, sondern in die Behördenpost. Dies soll die Sache beschleunigen, denn die Behördenpost wird zweimal am Tag ausgeliefert.

Doch der zu Unrecht im Knast sitzende Mensch wartet vergeblich. Die Behördenpost scheint nicht zu funktionieren. Hinter den Kulissen nachgefragt, stellt sich heraus, daß die Behörde Staatsanwaltschaft eine andere Behörde, das Gericht, mit einer dritten Behörde, nämlich der Polizei, verwechselt hat. Also ging die Akte auf dem Dienstweg versehentlich zur Polizei. Nunmehr wird auf dem Dienstweg um Rückgabe gebeten. Wenn dies nicht funktioniert und der betreffende Verteidiger langsam sauer wird, wird auch schon mal ein Behördentelefon benutzt. Gleichwohl dauert es Tage, bis die Akte zurückkommt.

Mittlerweile ist auch der Ermittlungsrichter sauer. Er ruft bei der Staatsanwaltschaft an und bittet um prompte Herbeischaffung der Akte. Derartige Anrufe von Richterinnen und Richtern sind für die Staatsanwaltschaft jedoch nicht ungewöhnlich. Dementsprechend passiert zunächst mal wieder gar nichts. Weitere vier oder fünf Tage wartet der Richter noch, bis ihm der Kragen platzt. Er setzt den Haftprüfungstermin schließlich an, ohne die Ermittlungsakte zu haben.

Die Sache ist nicht kompliziert. Nach zehn Minuten ist der Haftbefehl aufgehoben und der mittlerweile knapp drei Wochen einsitzende Mann darf nun die Haftanstalt verlassen — allerdings auf dem Dienstweg. Er muß für die ca. 150 Meter vom Haftprüfungsraum zu seiner Zelle durch verschiedene Verwaltungsräume bis zum Ausgang der Haftanstalt jetzt noch etwa ein bis zwei Stunden einkalkulieren.

Wie lange würde das Ganze wohl bei 150 Kilometern Dienstweg dauern? Justus