Bewegung in Grenzen

■ Sommergastspiel in der Tanzfabrik Möckernstraße mit Sabine Chwalisz, Sasha Waltz, Ingo Reulecke, Carola Schwaiger und Uwe Volkert: Zwei Premieren und eine Wiederaufnahme

Die Tanzfabrik in der Möckernstraße veranstaltet bereits zum vierten Mal eine Gastspielreihe, die sie »Tanz im Studio 1« nennt. Jungen Choreographen und Tänzern beiden Geschlechts soll damit die Möglichkeit gegeben werden, sich auszuprobieren und ihre Arbeiten vorzustellen. Diese Idee fand in den vergangenen Jahren ihr Publikum, und das nicht nur, weil im Sommer an Theater in der Stadt nicht viel zu sehen ist.

Der Abend besteht dieses Mal aus zwei Premieren — beide sind Solostücke — und der Wiederaufnahme eines Trios. Die kurzen Choreographien, keine ist länger als zwanzig Minuten, greifen alle ein altes Thema auf und erzählen es auf unterschiedliche Weise neu: Einzelwesen befinden sich im Widerspruch zur Umwelt. Sie müssen sich damit auseinandersetzen und Widerstände überwinden. Der Kampf muß immer wieder begonnen werden und wird nie eindeutig entschieden sein.

Die Vorstellung beginnt wie zufällig. In das Gemurmel im Saal mischt sich ein Gemurmel von draußen. Anfangs hält man es für technische Anweisungen, aber dann ist es die Tänzerin selbst, die vor sich hinredend die Bühne betritt, sich auf einen Stuhl setzt und ihre Schuhe anzieht.

Nur Bruchstücke des Textes sind zu verstehen, im Selbstgespräch erinnert sich eine Frau an ein Erlebnis. Die Worte werden leiser, stockender, ersterben dann ganz, und der Körper übernimmt die Funktion des Geschichtenerzählens. In einer langen Phase ohne Musik reihen sich Bewegungsabläufe aneinander, in denen sich harte, teilweise aggressive Bewegungen mit tänzerischen Elementen mischen. Die Körpersprache bleibt karg. Die Frau ist einsam und sehnt sich nach Nähe. Mit dem Rücken zum Publikum deuten ihre eigenen Hände die Umarmung eines anderen Menschen an.

Resigniert gibt sie nach kurzer Zeit diesen Selbsttäuschungsversuch auf. Die Bühne ist dunkel und leer. Einziges Spielrequisit ist ein Stuhl. Er ist die Insel, auf die die Frau sich zurückziehen kann, von der sie aber auch immer wieder weggetrieben wird. Als die Musik einsetzt (Janis Joplin aus dem Recorder), bricht die angestaute Energie los, die Tänzerin rennt mehrere Runden, wie um sich zu verausgaben. Als einzige Darstellerin an diesem Abend nimmt sie während ihres Tanzes direkten Kontakt zum Publikum auf und zwingt es geradezu, sich nicht zu entziehen. Das gelingt ihr zweifellos, man verfolgt jede Nuance voll Spannung.

Das anschließende Tanztrio zeigt Menschen, die sich in einem Raum befinden, dicht beinander, aber ohne Möglichkeit, sich wirklich zu nähern. Die Bewegungen sind immer wieder die gleichen: Zwei Männer und eine Frau kauern am Boden, richten sich mühsam auf, versuchen, ihre Bewegungen zu vergrößern, sich zu erweitern, voran zu kommen. Aber der Rahmen bleibt. Sie schaffen es nicht, ihn zu überwinden, sind weiter in ihrer Enge eingezwängt. Die Choreographie von Ingo Reulcke beeindruckt durch Konsequenz. Immer und immer wieder läuft ein Bild ab, das sich verändert und doch gleich bleibt. — Den Abschluß bildet eine Arbeit von Sabine Chwalisz. Sie heißt »ein Stück für eine Tänzerin, drei Abflußrohre, ein Paar roter Gummistiefel und ein Cello«. Auch hier versucht eine Frau, ihre Begrenzung zu durchbrechen. Auch hier wird es ihr von außen schwer gemacht. Unter dem Zwang der Beschränkung findet sie allerdings neue Möglichkeiten, sich auszudrücken. Als Musik dient eine Klangcollage, in der ein Cello immer wieder die Oberhand gewinnt. Hohe, kreischende Töne bringen die Tänzerin dazu, sich aus ihrer anfänglichen Verkrampfung zu lösen. Je nervender die Musik wird, desto klarer und größer werden die Bewegungen und erreichen eine neue Qualität. Die Frau kann den Kreis, an den sie gebunden ist, verlassen. Die Gummistiefel sind ein Bild für eine Veränderungsmöglichkeit von außen. Die Versuchung hineinzuschlüpfen ist groß, aber die Tänzerin widersteht ihr und findet einen Weg durch sich selbst. Sibylle Burkert

Noch bis zum 2. August, jeweils um 20.30 Uhr in der Tanzfabrik, Möckernstraße 68