»Frauen als Huren und Heilige«

■ Prozeß um Mord an einer Prostituierten: Psychiatrischer Gutachter bescheinigt Angeklagtem verminderte Schuldfähigkeit/ Sadomasochistische Phantasien prägten sein Verhältnis zu Frauen

Moabit. Das Gefühl, abgelehnt und ungeliebt zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben des 27jährigen Ronni G. Das erklärte gestern der psychiatrische Sachverständige Ulrich Giese, Leiter der forensischen Abteilung für Neurologie und Psychologie, am zweiten Verhandlungstag im Prozeß um den Mord eines Callgirls (die taz berichtete). Der bereits geständige Sicherheitstechniker aus Friedrichshain ist vor der 31. Strafkammer des Berliner Landgerichts des Mordes an der Prostituierten Ines Z. angeklagt. Am 12. Januar dieses Jahres hatte er die 27jährige mit sechs Schüssen nach einer gemeinsamen Nacht getötet.

Das psychologische Gutachten soll klären, ob der Angeklagte strafrechtlich überhaupt zur Verantwortung gezogen werden kann. Ulrich Giese ließ in sein Gutachten Jahre zurückliegende Untersuchungen einfließen. Dreimal ist Ronni G. bereits zu DDR-Zeiten wegen versuchter Vergewaltigung inhaftiert und in psychiatrischen Anstalten behandelt worden. Dabei sei »nicht alles positiv für den Angeklagten gelaufen«, sagte der ansonsten präzise formulierende Arzt umständlich. In den Entlassungsanträgen sei da die Rede von »einer Nachreifung« des Angeklagten gewesen. Ronni G. wurde immer wieder als geheilt entlassen, obwohl es auch während der Behandlungen in der Psychiatrie zu Versuchen sexueller Nötigung gekommen sei. Die Nachbehandlung sei ebenso vernachlässigt worden. Man habe sich zwar um Wohnung und Arbeit für Ronni G. gekümmert, um seine soziale Einbindung jedoch nicht. In seinem Umfeld sei der Angeklagte immer wieder auf Ablehnung gestoßen. »Triebdämpfende Medikamente« seien ihm verabreicht worden, seine »sadistischen Phantasien« hätten damit jedoch nicht verdrängt werden können. Im Laufe der Zeit seien diese immer stärker geworden.

Ronni G.s Verhältnis zu Frauen, so Giese weiter, sei seit frühester Kindheit negativ gewesen. Die Mutter habe er als »Heilige und Hure« erlebt. Das Thema Sexualität sei in der Familie tabuisiert worden; wenn die Mutter sich ihm jedoch nackt gezeigt habe, habe Ronni G. das als falsch empfunden. Das Bild der Mutter habe der Angeklagte auf andere Frauen übertragen. »Schöne Frauen«, so Giese, »bewunderte er, er sah sich ihrer Anziehungskraft machtlos ausgeliefert«. Daß habe er mit der Phantasie auszugleichen versucht, Frauen durch Gewalt zum Geschlechtsverkehr zu zwingen.

Das überraschende Fazit des Gutachters: Jeder Teil der Untersuchung lasse zwar schwere psychische Störungen erkennen, aber daraus allein könne nicht auf eine Schuldunfähigkeit geschlossen werden. Giese räumte ein, daß zum Zeitpunkt der Tat von einer zumindest verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen werden könne, da diese infolge der »sadomasochistischen Entwicklung des Angeklagten zwanghaft« gewesen sei. In der abschließenden Befragung durch Verteidiger Christian Ströbele befürwortete der Gutachter eine langjährige Einweisung in die Psychiatrie. Der Prozeß wird am Dienstag fortgesetzt. Ralf Knüfer