„Sie tanzt in Moskau und er in Moabit“

■ „Armer Erich!“ in der Ostberliner Kneipe „Zur Perle“

Wirt! Noch'n Kümmerling. Olympia ist nicht mehr, was es mal war. Und unsern Staatsratsvorsitzenden ham' wir wieder. „Warum hackt ihr alle auf'm armen Erich rum?“ fragt Elvira auf dem Barhocker im ostdeutschen Gasthaus „Zur Perle“. Nichts schimmert hier perlengleich, eher holzig mattbraun und das „Engelhardt-Pilsener — ein schöner Schluck Berlin“, schmeckt wäßrig wie immer. „Ich würd' ihn aufnehmen“, meint Michael und reißt ein Auge von der Mattscheibe, wo ein Turner den Barren quält. „Ne Wanne hab ich ooch noch frei“, mischt sich Gabi vom Tresen her ein und der Alte am Ecktisch murmelt: „53 Jahre gearbeitet und jetzt kriegst du 415 Mark Rente.“ „Stell dir vor“, setzt sich Michaels Stimme gegen die anderen durch, „du kommst nach Hause und da liegt Erich auf der Couch und kiekt Fernsehen.“ Kreischen. Wo bleibt das Bier?

„Mensch Leute, ist doch logisch, daß der vor Gericht muß“, erklärt Henri, der Dicke, der den Boxern auf den Fotos an der Wand über ihm ähnlich sieht, „der hat uns lang genug an der Neese herumgeführt.“ — „Aber wegen der 40 Morde an der Grenze, kommt der doch nicht vorn Kadi“, brummt der Rentner. „Gar nüscht wird ihm passieren“, findet auch Elvira, die früher mal Köchin war, als es noch Arbeit gab. „Der hätte hier nicht mehr erscheinen brauchen mit den drei oder fünf Jahren, die er noch hat.“ — „Vielleicht hätten sie ihn“, denkt Henri laut zwischen zwei Schlucken, „einfach draußen lassen sollen. Ohne Geld und in ner kleinen Hinterhofwohnung.“ Der Wirt wischelt Gläser, hat einen Schnurrbart und was zu sagen: „Honecker ist wie Kohl. Beide haben uns arm gemacht.“ — „,Wir sind das Volk' ist der größte Gauner“, ruft Michael, der Heizungsmonteur, von hinten, „ab mit dem zu Erich in eine Zelle.“ Und einer erzählt seinem Glas: „Schalck ist doch der Verbrecher. Doch nich unser kleiner Erich.“ Elvira ist sowieso der Meinung, daß das ganze Spektakel nur Anwälten und Journalisten nützt.

„Wir ham andere Sorgen“, sagt der Rentner und versucht den Weg nach draußen zu finden. Gabi lehnt auf dem Tresen und stiert auf den Bildschirm. Der zeigt den Flughafen Tegel ohne den Ehrengast. „Meine Jugend hat er mir geklaut. Wer will mir beweisen, daß der jetzt wirklich im Knast ist.“ Elvira kommt so, von Frau zu Frau, auf Margot zu sprechen: „Ich find das 'ne Frechheit, daß sie nich mit gelandet ist. Jetzt läßt die Krücke Erich auch noch im Stich.“ Im Fernsehbild drehn sich Erich und Margot zum Walzer. Das war einmal. Die Gäste der „Perle“ schunkeln mit. Elvira: „Die tanzt jetzt in Moskau und er in Moabit.“ Bascha Mika