Früher war Lernen Luxus

■ In Hamburg wurde die Schulpflicht erst 1870 eingeführt. Zuvor durfte jeder gegen Geld unterrichten, ob er qualifiziert war oder nicht. Immerhin gab's Armenschulen.

Früher war Lernen Luxus In Hamburg wurde die

Schulpflicht erst

1870 eingeführt. Zuvor durfte jeder gegen

Geld unterrichten, ob er qualifiziert war

oder nicht. Immerhin gab's Armenschulen.

Welche SchülerInnen, die sich nach ausgedehnten Ferien am Montag mit Lust- oder Frustgefühlen wieder in die Lehranstalt trollen, fühlen sich schon als Luxusgeschöpfe, denen das Privileg „Bildung“ zuteil wird? Wohl die wenigsten. Schule ist heute eine selbstverständliche Einrichtung, ein Zwang.

Das war nicht immer so. Vor allem nicht in Hamburg. Denn die Elbmetropole war die letzte deutsche Stadt, die am 11.11.1870 die Schulpflicht einführte, rund 160 Jahre, nachdem Preußen diesen Schritt vollzogen hatte. Vor diesem denkwürdigen Datum kamen nur die jungen HanseatInnen in den Genuß des Schulwissens, deren Eltern es sich leisten konnten. Im Jahre 1833 blieben von 21000 Kindern 3000 ohne Unterricht.

Der Grund für die Malaise war die Tatsache, daß ganz im pfeffersäckischen Geist in Hamburg das Schulhalten als freies Gewerbe zugelassen war. Jeder, der sich zum Pauker berufen fühlte, durfte, egal ob qualifiziert oder unqualifiziert, eine Penne gründen. Eine wirksame Kontrolle gab es nicht. Die mit der Aufsicht beauftragten Hauptpastoren verloren angeichts des unüberschaubaren Wirrwarrs völlig den Überblick. Auch wenn eine Familie das Schulgeld aufbringen konnte, war die Qualität der Ausbildung also noch lange nicht sichergestellt.

Für Kinder aus armen Verhältnissen, und derer gab es im 19. Jahrhundert etliche im damals nur 270000 Einwohner zählenden Hamburg, war Bildung zu jener Zeit vielfach Luxus. Zeit fürs Lernen blieb nur in den Mußestunden außerhalb der Arbeit. Ohne Schulwissen gab es jedoch, wie heute auch, kaum Aufstiegschancen.

Die Armenanstalten und mit ihnen die riesige Zahl von 900 privaten Stiftungen versuchten jedoch, den Teufelskreis zu durchbrechen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Armenschulen eingerichtet. Für die sogenannten schwer erziehbaren Kinder war bis 1906 eine Strafschule zuständig sowie die Schule des Werk- und Zuchthauses. Ob das, was in diesen Lehranstalten ablief, überhaupt mit den Begriffen Pädagogik oder Förderung bezeichnet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Es war auf jeden Fall der Versuch, die drohende zukünftige Verelendung durch Ausbildung zu verhindern.

1Die Armenschulen plagten sich allerdings selber ständig mit Geldnöten. Nur mit Hilfe von Fördervereinen und Spenden konnten sie die Kinder betreuen. Neben Nahrung galt kurioserweise die Sorge vor allem den Schuhen der Zög-

1linge. Verzweifelt versuchte man, für die armen Volksschüler Lederpantoletten zu besorgen, denn das Tragen von Holzlatschen galt als Zeichen von Armut und wurde 1892 von der Oberschulbehörde ganz verboten. Sigrun Nickel