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■ AUS POLNISCHER SICHTDer heiße Sommer

Die Exkommunisten schreien schon, daß der August 1992 das für die Solidaritätmacht wird, was der August 1980 für die Kommunisten war: Streiks und Proteste überall, vor allem bei den Kumpeln in Schlesien und in dem Kupfergebiet um Lubin und Liegnitz. Einer der erfahrensten und klügsten Politiker in Polen, Jacek Kuron, der das schwierigste, das Arbeitsministerium, übernommen hat, muß wieder die Feuerwehr spielen, wie in der Regierung Mazowiecki, und auch schon 1980/81, als unter anderen er und Adam Michnik die wilden Streiks eindämmen mußten, um eine Zusammenarbeit mit den Reformern in der damaligen Führung zu ermöglichen.

Die Analogien sind einerseits oberflächlich, andererseits berühren sie den Kern aller polnischen ökonomischen Probleme, die nicht viel anders sind als in dem Neufünfland: die Existenz der Großindustrie und der darin beschäftigten Arbeiterklasse. Der Kommunismus ist eigentlich an diesem eigenen Kind gescheitert und hat es, schon ein Waisenkind, der neuen Ordnung überlassen. Riesige Industriekombinate, die meistens zu viel und zu teuer produzieren, warten auf staatliche Subventionen und erzwingen mit Streiks immer höhere Löhne — der Arbeitgeber ist immer der Staat, und der kann schwerlich bankrott gehen. Also schreit das Waisenkind und erkämpft sich immer wieder eine Extrawurst von dem bitterarmen Stiefvaterstaat. Die populistischen Gewerkschaftsführer machen dem Solidaritätskämpfer der ersten Stunde alles nach, als gäbe es noch eine absolute Macht, die wie ein Deus ex machina Geld für die Lohnerhöhungen zaubern könnte.

Die Solidarität selbst steckt in einer Zwickmühle, weil sie einerseits selbst eine Hebammenfunktion bei der Entstehung der Regierung von Hanna Suchocka gespielt hat, andererseits aber die Gewerkschaftsbasis nicht verlieren will. Ehe nicht durch die Privatisierung und Restrukturierung der Großindustrie mit gleichzeitigem Aufbau eines funktionsfähigen Mittelstandes sichtbare Fortschritte gemacht werden, wird jeder Sommer in Polen heiß. Die Ursache ist nicht diese oder jene Regierung, sondern die Existenz des Waisenkindes Arbeiterklasse einer staatlichen Großindustrie. Der Glaube, daß die unsichtbare Hand des Marktes dieses Waisenkind adoptiert, trügt. Piotr Olszowka

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