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Sylvia Bell - Chefin von Virgin Records Hamburg

SYLVIA BELL - CHEFIN VON VIRGIN RECORDS HAMBURG

„Viele Leute ahnen nicht, welche Arbeit vonnöten ist, bis eine Schallplatte im Laden steht. Die holen sich das Teil und das war's“, beschreibt Sylyia Bell leicht resignativ des Konsumenten Unwissenheit. Denn eine weitverbreitete Ansicht ist, daß die Musikbranche noch immer von Sex and Drugs and Rock'n'Roll vollgesogen sei und alles wie von selbst passiere.

Über solche Rockromantik kann die Leiterin des Hamburger Büros von Virgin Records nur schmunzeln. Zu gut weiß die 32jährige Promotorin, daß auch Schallplattenfirmen Wirtschaftsunternehmen sind, denen es vornehmlich darum geht, ihre Produkte („Ich hasse dieses Wort“) zu verhökern.

Zwölf Schallplattenfirmen - mittlerweile eher Compactdiscfirmen - wetteifern in Hamburg um die Gunst der Käufer. „Ich sorge dafür, daß die Medien auf unsere Künstler aufmerksam werden“ - was auf ein permanentes Tingeln durch die norddeutschen Rundfunkanstalten hinausläuft.

Ein zuweilen mühseliges Geschäft, denn nicht alleine die Qualiät der Produkte entscheidet über Senden oder Nicht-Senden. „Beziehungen sind alles, und die muß ich pflegen“, umschreibt die Ex-Fremdsprachenkorrespondentin ihre Arbeit. Und - wohlwissend, wie dies klingen muß - fügt sie im gleichen Atemzug hinzu: „Man muß schon eine gewisse Vertretermentalität besitzen, aber mir ist keinesfalls egal, für wen ich arbeite. Unterhosen würde ich nicht verkaufen.“

Aber Feinripp und Designerslips sind auch kaum so aufregend wie echte oder selbsternannte Popmusikgrößen. „Ich hole die Virgin- Künstler vom Flughafen ab, bringe sie zu den Interviews, und abends geh ich dann mit ihnen essen oder auf die Piste.“ Kurzum: Sie soll ihren oftmals überkandidelten Zöglingen den Arbeitsbesuch in der Hansestadt so angenehm wie möglich gestalten. „Ich muß von Null auf Hundert durchstarten, um deren Wünsche erfüllen zu können. Der Künstler ist König.“ Weshalb jeder Star auf dem selbstgezimmerten Thron belassen wird.

„Es gab einen amerikanischen Musiker, für den ich gleichzeitig in drei verschiedenen Restaurants Steak ordern mußte“, plaudert die Wunschfee aus dem Promokästchen, „aber das ist die Ausnahme. 90 Prozent der Künstler sind sehr kooperativ.“ Verspüren die Popmusiker tiefergehende Begierden, lotst Sylvia Bell jene in entsprechende Lokalitäten. Sie selbst ist vor allzu direkter Anmache gefeit, denn die Musiker halten sich zumeist an das ungeschriebene Branchengesetz „Never touch a record- company-girl“. Viele Künstler sind nach einem Tag voller Interviewtermine ohnehin zu müde für breitangelegte Amusements: „Die gehen früh schlafen.“

Wie lange Sylvia Bell ihren Job noch machen will, weiß sie nicht genau. „Ich bin zwölf Jahre dabei, und es macht mir trotz mancher Routine noch immer Spaß“, kann sich die erfahrene Promoterin, die schon bei WEA und Sony beschäftigt war, weiterhin für ihr Werbegetrommel begeistern. „Wenn der Enthusiasmus nachläßt, werde ich aufhören. Ich kann mir nicht vorstellen, als 50jährige mit den jungen Musikern durch die Gegend zu turnen.“ Zuzutrauen, wäre es ihr dennoch. Clemens Gerlach

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