■ Stadtmitte
: Der Koloß an der Spree

Der Koloß an der Spree

Dieser Tage fand ein stilles Begräbnis statt. Die Senatskanzlei von Berlin trug die Idee einer Vereinigung mit Brandenburg zu Grabe. Während der Regierende völlig abgetaucht ist, macht sein oberster Amtschef, Volker Kähne, in Pessimismus und definiert »Essentials«, an denen Brandenburg nicht rütteln dürfe. Die Einheitsgemeinde Berlin, die 1920 mit knapper Mehrheit beschlossen wurde, sei ein solches Essential. Außerdem verlange Berlin einen großzügigen Finanzausgleich mit den märkischen Kommunen, da die Stadt eine aufwendige Verwaltung zu unterhalten habe. So wird der Senat unverständliche Rechnungen über Geld und verwickelte Verwaltungsstrukturen präsentieren, die nur eines deutlich machen: Leute, die Sache ist schwierig, lassen wir die Finger davon — hier die Metropole Berlin, dort das märkische Land, dessen Ränder veröden und dessen zentrumsnahe Gebiete Speck ansetzen.

Die regionale Entwicklung bleibt dann dem Selbstlauf überlassen, denn gleichzeitig hat es dieser Senat versäumt, die Bildung eines Regionalverbandes oder ähnliche Einrichtungen vorzubereiten, die Planungsprozesse zwischen Berlin und den umliegenden Kreisen regeln. Welche Folgen das hat, können wir an den Stadtgrenzen studieren, wo fröhlich gegeneinander gebaut und regiert wird. Am »Essential« der Einheitsgemeinde Berlin läßt sich das verdeutlichen:

Wie ein riesiger Koloß mit zerfasernden Armen ragt Berlin in die märkische Landschaft. »Moloch« nennen die BrandenburgerInnen mit Vorliebe diesen Zustand, von dem sie ihr Land erdrückt sehen. Das Ungleichgewicht zwischen Berlin und der übrigen Mark ist extrem. Hinzu kommen die Gräben zwischen dem lange verinselten West-Berlin und dem märkischen Festland. Nirgendwo sonst gibt es zwischen Stadt und »Umland« so starke Brüche in der Gesellschafts- und Bevölkerungsstruktur wie hier.

Wenn Berlin in Brandenburg eingebunden werden soll, kann die Stadt nicht so bleiben, wie sie ist. Denken wir nur, wie im märkischen Rat der Bürgermeister, das Oberhaupt von 60 Prozent der Landeskinder, mit den gewählten Spitzen von Kietz, Klosterfelde und Treuenbritzen am Beratungstisch sitzt. Den Ballungsraum Berlin stärker in Unterzentren zu gliedern, drängt sich also aus Brandenburger Sicht auf. Nun ist Berlin in Bezirke geteilt, die jedoch ein ärmliches Eigenleben führen.

Sowohl der Anspruch nach innerer Demokratie wie die Einbindung Berlins und Brandenburgs drängt also auf Dezentralisierung hin. Die 59 Gutsbezirke, 27 Weiler und sieben Städte von anno 1919 sollten wir nicht wieder eröffnen, doch den Bezirken Rechte der kommunalen Selbstverwaltung geben. Wo heute Senatsressorts das Heft in der Hand haben, sollte das Land Brandenburg die Rechtsaufsicht ausüben. Berlin als Verflechtungsraum wäre eine Mischung aus Regionalverband und kreisfreier Stadt, der Oberbürgermeister hätte die Stellung ähnlich der eines Landrats.

Eine ernsthaft betriebene Dezentralisierung Berlins löst die Einheitsgemeinde nicht auf, schreibt aber das Wort »Einheit« klein. Es ist unsinnig, wenn jeder Bezirk seine eigenen Radwege, Grünzüge und öffentlichen Verkehrsverbindungen autark plant und die nachbarliche Anbindung in der Hoffnung auf Harmonie überläßt. Andererseits kann die Raumplanung nicht in lokaler Abschottung zwischen Berlin und den Brandenburger Gemeinden verbleiben. Nur ein dreifaches Koordinationssystem Bezirksgemeinde/Berlin/ Brandenburg schafft hier Abhilfe.

Viele andere Aufgaben können aber den zu Städten gemauserten Bezirken übertragen werden. Ein eigener Finanzhaushalt, Bereichsentwicklungs- und Bauplanung, volle Gewerbe- und Umweltaufsicht, die lokale Regelung des Schulwesens und der Kulturpolitik sind einige Beispiele. Behörden auf mittlerer Berliner Ebene können da einerseits in die Selbstverwaltung der Gemeinden, andererseits in Landesbehörden aufgelöst werden. Es spricht einiges dafür, den Ballungsraum Berlin in 23 Städte mit weitgehender kommunaler Selbständigkeit zu entflechten.

Der jetzt amtierende Senat will allerdings die Rechte der Bezirke mit der Gestaltung Berlins als Hauptstadt abbauen. Im Hauptstadtvertrag werden die Bezirke aus allen Planungen ferngehalten, die mit dem Regierungs- und Parlamentssitz nur irgendwie zu tun haben. Dagegen weist er jeden Vorschlag weit von sich, einige Ministerien etwa in Strausberg oder Cottbus anzusiedeln, statt sie zu viert auf der Spreeinsel übereinander zu häufen. Wo es um Teilen und Abgeben an Brandenburg geht, überwiegt wieder die Raffke-Mentalität. Diese Politik ballt Berlin weiter zum kompakten Koloß zusammen. Einer ausgewogenen Regionalentwicklung steht sie damit im Wege. Das ist weit wichtiger als die letztlich formale Frage, ob die Ländergrenze zwischen Brandenburg und Berlin steht oder fällt.

Der Autor ist Mitglied der Fraktion Bündnis90/Grüne im Abgeordnetenhaus. In der Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu Problemen der zusammenwachsenden Stadt.