Auf Südafrikas Straßen wird flaniert

Der erste Tag des vom ANC ausgerufenen Generalstreiks bringt sonntägliche Ruhe auf den Straßen der Städte und politische Zuversicht/ Zwischenfälle in Natal, dem Homeland Ciskei und Soweto  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Die Frau hat die Ärmel hochgekrempelt und die Hände tief in die mit Wäsche gefüllte Wanne gesteckt. Sie wringt eine Windel aus und hängt sie neben sich über den Zaun. Langsam brummt ein gelber Panzerwagen der Polizei vorbei. Nebenan sitzt der Nachbar in der Wintersonne vor seinem Haus, in der Hand eine Pulle Bier, unter dem Stuhl ein halbes Dutzend leere Flaschen.

Sobald die gelbe Patrouille verschwunden ist, springen die Jungen wieder auf die Straße, kicken den Ball herum und flirten mit den vorbeiflanierenden Mädchen. In Alexandra ist es am ersten Tag des vom Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) ausgerufenen Generalstreiks ruhiger als an manchem Sonntag.

Tausende von Leuten sind auf den Straßen, aber überall herrscht gelassene Normalität. Am Morgen war berichtet worden, daß in dem schwarzen Wohngebiet nördlich von Johannesburg Gruppen von Jugendlichen versucht hätten, arbeitswillige Leute daran zu hindern, in Busse oder Taxis zu steigen. Davon ist nichts zu sehen.

Gegen mittag ist der Taxistand vollkommen verlassen. Die Zahl der Polizeistreifen ist zu diesem Zeitpunkt geringer als an einem normalen Wochentag. Immerhin gilt Alexandra sonst als Unruheherd.

„Ich unterstütze den Streik“, sagt Sipho Nhlope in bestimmtem Tonfall. Er sitzt vor einer illegalen Kneipe, das Bier in der Hand, und plaudert mit Freunden. Über die genauen politischen Umstände, die zu dem Streik geführt haben, ist er kaum informiert. Aber er weiß, worum es für ihn geht: „Wir Schwarzen leiden sehr. Der Streik ist gut. Er wird unser Leben verbessern.“

„Wir streiken für ein besseres Leben“

Auch Lindiwe Ngcobo, eine wuchtige Frau, an deren Brust ein Baby nuckelt, hält den Streik für richtig. „Es gibt keine Jobs, Lebensmittel sind teuer“, sagt sie. „Wir streiken, weil wir ein besseres Leben wollen.“

Ein Freund von Nhlope ist allerdings anderer Meinung. „Es gibt keine Verkehrsmittel, um zur Arbeit zu fahren“, sagt er. Aber selbst wenn die Taxis fahren würden, würde er es nicht wagen, arbeiten zu gehen, auch wenn er es gerne täte. „Beim letzten Streik habe ich gearbeitet“, sagt er. „Als ich abends nach Hause kam, wurde unser Fahrzeug mit Benzinbomben angegriffen. Da hab' ich mir gesagt — für ein bißchen Geld mein Leben aufs Spiel setzen? Lieber nicht.“

Aber solch eine Ansicht ist in Alexandra deutlich in der Minderheit. Die meisten Befragten unterstützen den Streik freiwillig. „Auch wenn alle Taxis fahren würden, ich würde streiken“, meint Ruben, ein junger Mann, der seinen Nachnamen nicht nennen will. „Ich weiß, worum es geht. Dieser Streik ist richtig.“

Auf jeden Fall war der Generalstreik am ersten der beiden geplanten Streiktage eine der erfolgreichsten derartigen Aktionen, die es je in Südafrika gab. In der Region um Johannesburg blieben mehr als 90 Prozent aller schwarzen Arbeiter der Arbeit fern. Die Innenstadt war in großen Teilen sonntäglich ruhig, Bahnhöfe und Taxihaltestellen verlassen.

Auch in der Hafenstadt Durban, wo die konservative Zulu-Partei Inkatha besonders stark ist, wurde der Streik von mehr als 70 Prozent aller Arbeiter befolgt. Inkatha hatte gewarnt, daß es zu Gewalt kommen könnte, wenn ihre Mitglieder an der Arbeit gehindert werden sollten.

Tatsächlich kamen die meisten Berichte von Barrikaden und Auseinandersetzungen aus der Provinz Natal, wo der Kampf zwischen Inkatha und ANC besonders blutig ist. Bereits am Vorabend des Streiks fielen dort zehn Menschen der politischen Gewalt zum Opfer. Spannungen bauten sich auch in dem als „unabhängig“ von Südafrika geltenden Gebiet Ciskei auf. Der dortige Machthaber, Brigadegeneral Oupa Gqozo, hatte gewarnt, daß er eine geplante ANC-Demonstration mit allen Mitteln verhindern würde. Einer der zehn UNO-Beobachter, die die Aktionswoche des ANC vor Ort verfolgen, wurde der Zugang zur Ciskei verwehrt.

Am Streiktag selbst wurden bis zum frühen Nachmittag aus dem ganzen Land sechs Tote bei Gewaltausbrüchen gemeldet. Bei einem einstündigen Schußwechsel in Soweto wurden in den frühen Morgenstunden drei schwarze Schützen von der Polizei getötet und ein automatisches Gewehr beschlagnahmt. Barrikaden wurden zum Teil von der Polizei, zum Teil vom ANC entfernt, Jugendbanden auseinandergetrieben. Der ANC hat wiederholt betont, daß alle Menschen frei entscheiden sollten, ob sie sich an dem Streik beteiligen. Gegen ANC-Mitglieder, die gegen diese Regel verstoßen, sollen Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden.

„Der Generalstreik ist ein riesiger Erfolg,“ sagte ANC-Sprecher Carl Niehaus gestern. „Das zeigt, wie wichtig es für unsere Bevölkerung ist, daß eine Demokratie in Südafrika geschaffen wird.“ Für den ANC ist das Ausmaß des zweitägigen Streiks auch ein entscheidender Test für seine Unterstützung in der schwarzen Bevölkerung.