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Das Herz der Burenmacht fällt an das Volk

„Operation Leipzig“ in der südafrikanischen Hauptstadt: Die größte Demonstration in der Geschichte Pretorias bringt weit über 70.000 schwarze Marschierer vor die ehrwürdigen Symbolgebäude und Kriegsdenkmäler des Apartheid-Staates  ■ Aus Pretoria Hans Brandt

„Ha, ha, ha — wir ziehen nach Pretoria!“ Dutzende von Gruppen singen, grölen, schreien, tanzen die Devise des Tages. Die Massen haben das Zentrum der weißen Hauptstadt besetzt. Genehmigt war eine Demonstration von 70.000 — gekommen sind weit mehr. Zu Zehntausenden laufen sie langsam im formalen Protestmarsch die renommierte Church Street hinauf, angeführt von Nelson Mandela und einem Dutzend anderer Führer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Zehntausende weitere drängen sich am Straßenrand. Auf dem Rasen vor dem Unionsgebäude, dem Regierungssitz, warten wieder Zehntausende auf die Abschlußkundgebung.

Es ist wohl der größte Protestmarsch, den der ANC je auf die Beine gebracht hat, zweifellos die größte Demonstration in der Geschichte Pretorias. Junge Mädchen in den ANC-Farben Schwarz, Grün und Gold marschieren mit Trommelbegleitung. Überall schwarz-grün-goldene Mützen, Hemden, Stirnbänder, Aufkleber. Ein Aufgebot von 1.000 Polizisten und Soldaten hat schon seit dem Vorabend die Innenstadt abgesichert. Alle Autos wurden aus der Church Street entfernt, Geschäfte sind abgeriegelt, alle Gebäude bewacht. Im morgendlichen Berufsverkehr mußte sogar die Autobahn gesperrt werden.

„Bitte treten Sie ein. Wegen des Wetters geschlossen“, steht an einer Geschäftstür. Aber die Tür ist verbarrikadiert. Dahinter schauen drei weiße Verkäuferinnen ängstlich auf die Menschenflut draußen. „Das macht mir richtig Angst,“ sagt zitternd eine weiße Bankangestellte, die sich immer wieder die trockenen Lippen leckt. „Das sollte nicht erlaubt sein.“ Daß diese Menschen bald bestimmen könnten, wer Südafrika regiert — das will sie nicht wahrhaben. „Die Zulupartei Inkatha und andere Stämme werden schon verhindern, daß der ANC an die Macht kommt“, hofft sie.

Der Haß gegen den ANC ist unter den Weißen hier weit verbreitet. Sogar ein Anhänger Präsident de Klerks kann sich kaum halten: „Der ANC will mit diesem Marsch seine Macht demonstrieren, ,sagt er. „Aber was sind schon 70.000 Menschen? Ein Bruchteil der Gesamtbevölkerung.“ Außerdem solle nicht demonstriert werden: „Die sollten schleunigst an den Verhandlungstisch zurückgehen.“

Er ist noch friedfertig. Hinter einem schweren Gitter stehen breitbeinig einige weiße Sicherheitsleute neben dem Manager eines Werkzeuggeschäftes. Der flucht: „Wenn ich nur könnte, würde ich einen RGP-7- Granatwerfer nehmen und dieses Gesindel in die Luft blasen. Die haben doch gar kein Interesse an Demokratie, die wollen doch nur Macht. Angst hab ich vor denen nicht. Wenn sie Gewalt wollen, können sie Gewalt haben, und zwar tausendfach.“

Von Gewalt ist in dem Marsch allerdings kaum etwas zu spüren. Zwar marschiert da ein ANC-Kader demonstrativ mit seinem Holzgewehr hinter einem Polizisten her. Und ein Mann in voller afrikanischer Kriegermontur hat sich mit Federschmuck, Speer und Schild ausgerüstet — traditionelle Waffen, die bei Demonstrationen ausdrücklich verboten sind. Aber es gibt keine Aggression. Es herrscht eher ein Gefühl, daß Pretoria rechtmäßig eingenommen worden ist. „Es läuft auf beiden Seiten sehr friedlich ab, wir haben keine Beschwerden“, sagt Shola Omoregie, der UNO-Beobachter, der das Ereignis verfolgt.

Der ANC werde mit der Regierung erst wieder verhandeln, wenn seine Forderungen erfüllt sind, sagt Mandela in seiner Ansprache. Der Generalstreik am Montag und Dienstag sei mit über vier Millionen Streikenden ein überwältigender Erfolg gewesen. „Niemand kann sich weismachen, daß nur Einschüchterung diesen Erfolg produziert hat. Denn das würde bedeuten, daß der ANC die Macht hat, viele Millionen Menschen einzuschüchtern.“

Präsidialamt und Auswärtiges Amt teilen sich das Unionsgebäude. Von den Balkons der ehrwürdigen Büros ist Mandela nicht zu hören. Wenn de Klerk in seinem Büro ist, kann er nur das dumpfe Dröhnen der Menschenmenge auf dem Rasen hören. Aber an den Fenstern des Außenministeriums stehen viele nachdenkliche Beamte, eine Hand an die Stirn gelegt, das Kinn aufgestützt, die Arme defensiv verschränkt.

Pretoria ist das Herz des Burentums. Die Demonstration zieht vom Krügerdenkmal zum Reiterdenkmal für Louis Botha. Krüger war Präsident der Burenrepublik Transvaal, der kurzlebigen Erfüllung des Traumes von der burischen Selbstbestimmung. Botha war der General, der im Krieg gegen die Briten zur Jahrhundertwende die Burenrepublik erfolglos gegen die verhaßte Kolonialmacht anführte. In den Transvaal waren die Buren gezogen, um die Briten mit ihrem liberalen Umgang mit Schwarzen loszuwerden. Jetzt haben die Schwarzen sie eingeholt.

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