Wir amüsieren uns zu Tode

■ Ein Mensch bringt sich um live im Sat.1-Fernsehmagazin "Akut"

Wir amüsieren uns zu Tode Ein Mensch bringt sich um — live im Sat.1-Fernsehmagazin „Akut“

Ein Mann liegt nackt in der Badewanne, prüft die Wassertemperatur, blickt in die Videokamera und erklärt dem Millionen-Publikum, daß er soeben ein tödliches Medikament eingenommen habe und jetzt auf „die Erlösung“ warte. Schnitt. Zehn Minuten später krümmt sich derselbe Mann röchelnd und würgend im Wasser, der Körper wehrt sich mit aller Macht gegen den Tod. Die Kamera und das Sat.1-Publikum sind noch immer dabei und verfolgen diesen Selbstmord — live. Dann wird das Videoband angehalten. Mehr wolle man dem Publikum nicht mehr zumuten, gaukelt der Sender mitfühlende Fürsorge für die Zuschauer vor. Nur der Ton läuft weiter und transportiert noch letzte Röchler in die Wohnzimmer.

Mit diesem unterhaltsamen Abendprogramm beglückte das Sat.1-Magazin „Akut“ seine Zuschauer am Mittwochabend. Der Selbstmord — vom Opfer per Videokamera selbst gefilmt — gehörte zu einem Beitrag über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Er reiht sich nahtlos ein in die Sensationsmache dieses Fernsehmagazins, das mit seinem Boulevard-Konzept, Lichtjahre vom Niveau der öffentlich-rechtlichen Magazinen entfernt, seit Monaten im verkaufsträchtigen Morast von Sex, Blut und Tränen stochert. Nachdem eine Reihe von Redakteuren das Magazin angewidert verlassen hat, scheint jetzt die letzte Schamgrenze gefallen. Die Autorität des Todes, die Intimität des Sterbens wird der Einschaltquote geopfert.

Die gesendeten Bilder des Selbstmordes sind ein journalistischer Grenzfall. Solche Aufnahmen könnten tatsächlich eine aufklärerische Kraft entfalten, weil jeder sieht, wie „sanft“ die von der DGHS empfohlenen Selbstmordmethoden tatsächlich sind. Und weil das dubiose Sterbehilfe-Angebot der DGHS in seiner verheerenden Wirkung auf Menschen in Krisensituationen sichtbar wird. Doch Sat.1 ging es vor allem um die Sensation. Bild — Springer ist an Sat.1 beteiligt — durfte den TV- Selbstmord „heute um 22 Uhr“ im voraus werbeträchtig ankündigen. Der kritische Beitrag über die DGHS war offenbar nur das notwendige Umfeld und Alibi, um das Senden der spektakulären Todesszene zu rechtfertigen.

Die Verblödungsmaschine Sat.1 ist mit diesem Beitrag zu einer neuen Qualität des Kommerzfernsehens vorgestoßen. Neil Postmans These — „Wir amüsieren uns zu Tode“ — hat eine ganz neue, makabere Note erhalten. Manfred Kriener