Staatsschutzaffäre in Tübingen

■ Nach der Enttarnung zweier V-Männer zieht Baden-Württemberg verdeckte Ermittler zurück

Tübingen/Berlin (taz) — Für Frieder Birzele (SPD) ist es keine Frage: Trotz einer „gewissen Entspannung der Sicherheitslage“, so der baden- württembergische Innenminister, sei es weiterhin gerechtfertigt, im „linksextremistischen Bereich“ verdeckt zu ermitteln.

In Tübingen weiß man seit geraumer Zeit, wovon Birzele spricht. Ende Juli wurden zwei Staatsschutzbeamte des Stuttgarter Landeskriminalamtes enttarnt. Einer der beiden konnte offenbar „die Schizophrenie seiner doppelten Existenz“, wie es in einer Presserklärung der Betroffenen heißt, nicht mehr ertragen. „Joachim Armbruster“ hatte sich verliebt, in eine Frau aus der Tübinger Szene. Das Landeskriminalamt (LKA) beendete daraufhin den Auftrag der beiden Ermittler. „Im Interesse des Fortbestandes der Beziehung“ hatten Stuttgarts Staatsschützer „Armbruster“ geraten, seine Identität zu offenbaren. Für die große Koalition Baden-Württembergs wird die Tübinger Affäre langsam unangenehm. Zwar betont Innenminister Birzele nach wie vor, es habe sich ausschließlich um eine Ermittlung gegen „Zielpersonen“ gehandelt. Bei den betroffenen Gruppen wie dem Nicaragua-Arbeitskreis der Evangelischen Studentengemeinde, einem Palästina-Komitee, einer Antirepressionsgruppe sowie der Tübinger Initiative zur Zusammenlegung politischer Gefangener, glaubt man jedoch, daß die Aktion der linken Szene Tübingens insgesamt galt.

Laut LKA fanden die Ermittler „Zugang zu Gruppierungen, die sich u.a. mit Blockaden, Hausbesetzungen und Zusammenlegungsveranstaltungen befassen.“ Das wurde selbst dem Tübinger FDP-Politiker Hermann Keske zuviel: „In Baden- Württemberg sind wir hinter die preußische Polizeiverfassung des 19. Jahrhunderts zurückgefallen.“ Keske legte inzwischen Verfassungsbeschwerde gegen das neue Polizeigesetz ein, das den Einsatz von Under-cover-Agenten im Nachhinein legalisiert hat.

Birzele, vor seiner Zeit als Innenminister engagierter Kritiker der Stuttgarter Ermittlungspraktiken, läßt sich nicht irritieren. Der Gewaltverzicht der RAF habe im Umfeld Widerspruch erzeugt, deshalb habe man landesweit zehn Ermittler auf linke Gruppierungen angesetzt. Das Stuttgarter LKA will Anzeichen dafür gehabt haben, daß „bestimmte Personen aus Tübingen“ den von „der RAF geforderten Aufbau der antiimperialistischen Front in Westeuropa“ fördern sollten.

Die Peinlichkeit wird indes ein Nachspiel im Landtag haben. Die Grünen fordern eine lückenlose Aufklärung des Falles. Inzwischen hat sich auch Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze eingeschaltet. Ihr Interesse gilt auch der Kündigung einer Frau durch die Handwerkskammer in Stuttgart. Birgitta M. soll laut Polizei Kontakte zu extremen Organisationen haben. Frau M., die sich in Tübingen für die Zusammenlegung politischer Gefangener engagiert, wohnte im selben Haus wie die beiden Spitzel.

Am Dienstag kündigte Frieder Birzele dann doch Konsequenzen an. Sämtliche verdeckten Ermittler aus dem „linksextremistisch-terroristischen Bereich“ werden abgezogen. Freilich nicht, weil man in Stuttgart solche Aktionen als sinnlos erachte, sondern weil den anderen Beamten nach der Tübinger Enttarnung Gefahr drohe. Eine Akteneinsicht der Betroffenen hat der Innenminister bisher abgelehnt. Begründung: Die Verdächtigten könnten gewarnt werden. Uwe Rada