Blind Piloting

■ Die Nachbesserung des Jahres: der Eiermann-Bau in Essen

Per Ministerentscheid wird ein repräsentatives Werk der deutschen Nachkriegsarchitektur, Egon Eiermanns Verwaltungsgebäude der Essener Steinkohle von 1960, in extremis unter Denkmalschutz gestellt. Will heißen: pflichterhalten, im Bewußtsein der Unvermeidbarkeit der Auskernung, Aufstockung und Erweiterung durch das Essener Energiewirtschaftsunternehmen STEAG, das hier seine Verwaltungsstandorte zusammenfaßt. Angesichts des maroden Zustands des Eiermannbaus ist dem im Grunde nichts entgegenzuhalten. Denkmalpflege heißt zwar gemeinhin, Baudenkmäler zu schützen, jedoch ohne deren Nutzbarkeit zu unterbinden.

Wieder einmal wird unter dem Trugschluß der Objektivität einer „Mängelbezeichnung“ hemmungslos durchgebaut. Die Gebäudesanierung des Duisburger Architekten Helmut Kohl greift alles an: Konstruktion, Infrastruktur, Erscheinungsbild und Stellung des Gebäudes im Stadtraum. Natürlich ist es denkbar, diesen Standort aufzuwerten. Eiermann selbst ließ diese Möglichkeit offen. Doch wie Architekt Kohl diese Ausbauabsichten interpretiert, ist mehr als dilettantisch: eine 70-Millionen-DM-Nachbesserung. Der Eiermannbau soll überleben — eine Sachzwängen geopferte Illusion. Denn unabhängig davon, daß er dringend reparaturbedürftig ist, scheint das Gebäude in krassem Mißverhältnis zur neuen Nutzung zu stehen. Selbst das redliche Bemühen des Architekten, mit seiner Modernisierung Eiermann nachzuvollziehen und den behördlichen Auflagen gerecht zu werden, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier ein Architekturlehrstück gestorben ist.

Und niemand hat sich etwas vorzuwerfen, handelten doch alle nach bestem Wissen und Gewissen: der Bauherr, der Architekt, die Stadtverwaltung, der Minister und auch Brigitte Eiermann, die als Nachlaßverwalterin des Werkes ihres Mannes damit quasi die Urheberrechte abtreten mußte. Ein Lehrstück für das Unvermögen im Umgang mit Kulturgut.

Das Gebäude war charakteristisch für eine bestimmte Zeit in Deutschland. Es setzte inmitten der vordergründigen Wirtschaftswunderrealität ein verständliches Zeichen und vermochte die Klarheit der Perspektive, den Fortschritt in seinen positiven Aspekten umzusetzen. Das Gebäude war in diesem Sinne ein Hauptwerk Eiermanns, des nicht unbestrittenen ersten Vorzeigearchitekten der jungen Bundesrepublik (er baute unter anderem die Berliner Gedächtniskirche, das Abgeordnetenhochhaus in Bonn, den deutschen Pavillon an der Weltausstellung 1958 in Brüssel etc.). Angesichts dessen, die Essener Steinkohle unter Vorschub denkmalpflegerischen Erhalts auf ihre Rohsubstanz zu reduzieren, zeugt von der Blindheit der Verwerter. Immerhin: Sie erhalten uns cirka 200 Quadratmeter original Eiermannsche Atmosphäre, die Eiermanngedächtnisecke. Sie wissen also, was sie tun.

Nichts mehr zu retten. Das nächste Essener Wahrzeichen auf der Abbruchliste ist das unübersehbare Stammhaus der Ruhrkohle AG direkt am Hauptbahnhof. Dieser nicht nur wirtschafts- und zeitgeschichtlich außergewöhnliche Bau soll einer Bürolandschaft von RWE und Ruhrkohle AG weichen. Ein Ministerentscheid steht noch aus. S. Hubacher,

M. Zlonicky-Krawietz