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Japan: Das Öko-Image bekommt erste Risse

Trotz Milliardenversprechen für den internationalen Umweltschutz vergiften Japans Konzerne Südostasien  ■ Aus Tokio Georg Blume

Noch vor zwei Monaten, auf dem Umweltgipfel in Rio, spielte Japan den Musterknaben. Annähernd 12,4 Milliarden Mark, mehr als jedes andere Land, versprach Tokio für den Umweltschutz in aller Welt. Doch inzwischen klingen die japanischen Versprechen hohl.

Ausgerechnet Mitsubishi-Kasei, das Chemieunternehmen der weltgrößten Unternehmensgruppe Mitsubishi, brachte Japan wieder in den Verruf, Umweltpolitik nur als Fassadenspiel zu betreiben. Im Juli hatte ein malaysischer Gerichtshof Mitsubishi-Kasei der sorglosen Umweltzerstörung überführt. Umweltaktivisten sehen darin nun den Beweis für ihre Vorwürfe, daß Japan seine Umweltprobleme exportiert, anstatt sie selbst zu lösen. Seitdem ist in Japan eine heftige öffentliche Debatte über den „ökologischen Auftrag der Nation“ entbrannt.

In dem sensationellen Gerichtsurteil verfügte der Richter Peh Swee Chin des Zivilgerichts der nordwestmalaysischen Stadt Ipoh die Schließung einer Joint-venture-Fabrik von Mitsubishi-Kasei. Radioaktive Fabrikabfälle hatten dort aufgrund ungeschützter Lagerung unter den Einwohnern der Umgebung zu zahlreichen Leukämie-Erkrankungen geführt. „Asian Rare Earth“, so der Name des Joint-venture, produzierte seit 1982 Chlorverbindungen für den Gebrauch von Fernsehbildschirmen in Japan. Von den radioaktiven Abfällen der Fabrik sollen nach Angaben der Kläger 40.000 Menschen verseucht worden sein.

Die Erkenntnisse des Richters konnten die Mutterfirma in Tokio kaum überraschen. Jahrelang hatte Mitsubishi die Klagen von malaysischen Bewohnern und internationalen Umweltschutzverbänden als grundlos zurückgewiesen. Erst das malaysische Gerichtsurteil zwang Mitsubishi unvermittelt in die Defensive. Denn nun gelangte der bislang nur unter Umweltaktivisten bekannte Fall an die Öffentlichkeit und löste einen Proteststurm aus.

Die Regierung in Tokio erkannte sofort, daß der Mitsubishi-Fall ihrem über Jahre sorgsam aufgebauten Öko-Image großen Schaden zufügen konnte. Schon zwei Tage nach der Urteilsverkündung in Malaysia sahen sich die Top-Manager von Mitsubishi-Kasei auf ungewöhnlichste Art ins mächtige MITI, das Industrie- und Handelsministerium, bestellt. Dort erklärte der stellvertretende Minister die Mitsubishi-Aktivitäten in Malaysia für „höchst bedauerlich“. Der Verwarnung folgte die Ankündigung, daß Mitsubishi „genaue Instruktionen zur weiteren Vorgehensweise“ in Malaysia erhalten werde. Derartige Belehrungen hatte die größte Firmengruppe der Welt seit der Besatzungszeit, als die Amerikaner den Mitsubishi-Konzern in Einzelfirmen aufspalteten, nicht mehr zu hören bekommen.

Entrüstet über die Umweltsünden von Mitsubishi zeigte sich auch die für gewöhnlich unzertrennliche Unternehmergemeinde. „Ich hatte von Unternehmen mit solchen Tendenzen vor zehn Jahren gehört“, entgegnete Nissan-Chef Yutaka Kume auf die Frage, ob Mitsubishi nur ein Beispiel unter vielen sei. „Heute kenne ich keine Unternehmen mehr, die so denken“, setzte Kume nach. „Und wenn es sie gibt, sollten sie ihre Einstellung schleunigst ändern.“ Kume sprach als Vize-Präsident des mächtigen Unternehmerverbandes „Keidanren“, der erst im letzten Jahr eine „Umweltcharta“ verfaßt hatte, die ihre Mitglieder ausdrücklich auffordert, auch im Ausland den gleichen Umweltvorschriften wie in Japan zu folgen. Die Umweltcharta des Keidanren, deren Ziel umweltschonendes Wachstum ist, hatte weltweite Beachtung gefunden. Maurice Strong, der Generalsekretär der Rio- Konferenz, bezeichnete die Charta als „Denkhilfe für den Westen“.

Doch nicht alle glauben den Versprechungen der Unternehmer. „Japanische Unternehmen“, entgegnet Shunji Arakawa vom Anti-Nuclear Pacific Center in Tokio, „haben im Ausland bislang immer gemacht, was sie in Japan nicht machen können. Der Mitsubishi-Fall belegt den überall gültigen Doppelstandard.“ Der Umweltaktivist Arakawa verfolgt die Öko-Delikte japanischer Unternehmen bereits seit den siebziger Jahren. Erfreulich ist aber auch für ihn, daß sich diesmal das Ministerium einmischt: „Eine Mahnung des MITI ist äußerst selten.“

Folgen aber hatte auch die MITI- Schelte bisher nicht. Entgegen ersten Äußerungen von Mitsubishi, in denen angekündigt wurde, den Richterspruch zu akzeptieren, reichte Asean Rare Earth in Malaysia die Revision ein und erreichte vor wenigen Tagen die vorläufige Aussetzung des Urteils. Vergeblich waren Betroffene aus Malaysia zuvor nach Tokio geeilt, um Mitsubishi von der Revision abzuhalten. Obwohl Mitsubishi mit einem 35-Prozent-Anteil bei Asian Rare Earth nicht über die alleinige Entscheidungsgewalt verfügt, versprachen sich sich von einer Ausstiegsdrohung der Japaner auch das Ende der Produktion vor Ort. Statt dessen läuft das riskante Unternehmen nun weiter. Da der Joint-venture-Partner „Moslem Pilgrims Managemant Fund Board“ überdies ein staatseigenens Unternehmen ist, können sich die Öko-Kläger beim politisch kontrollierten höchsten Gerichtshof kaum mehr Hoffnung auf eine zweite Sensation machen.

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