Belgrad verharmlost Verbrechen in Lagern

■ Opposition berichtet von „friedlichem Bevölkerungsaustausch“ der Muslimanen

Die Sequenz läuft Dutzende Male im serbischen Fernsehen: Premier Milan Panic im Flüchtlingslager Subotica, unweit der ungarischen Grenze. Um zu zeigen, daß dies kein „Konzentrationslager“ ist, schüttelt der Amerikaner serbischer Abstammung Flüchtlingen die Hände, als seien es alte Bekannte. Die 300 Bewohner des Camps leben seit Wochen in Zelten, „glücklich“, den Kriegswirren entronnen zu sein. Das zumindest erzählen sie vor laufender Kamera. Von Mißhandlungen weiß niemand. „Das sind Märchen“ sagt ein alter Mann. Panic ist sichtlich erleichtert, seine PR-Show ist geglückt. „Dem Journalisten, der den Beweis eines Todeslagers bringt, biete ich 5.000 Dollar“, sagt er zum Abschluß.

Dieses Zitat hievten gestern die Belgrader Tageszeitungen auf ihre Titelseiten. Schon seit Tagen versuchen sie zu beweisen, daß es keine Internierungslager gibt. Nur Kroaten und Muslimanen hielten Gefangene unter unmenschlichen Bedingungen. Die gestrigen Fernsehbilder, die erstmals zwei Gefangenlager in Nordbosnien zeigten, blieben den Menschen in Serbien vorenthalten. Satelittenantennen sind rar, westliche Zeitungen nicht erhältlich. Auch die Oppositionsblätter sind einseitig, was jeden erstaunen muß. Vor allem die Wochenschrift Vreme und die Tageszeitung Borba hatten sich in der Vergangenheit mit politischen Enthüllungen einen guten Ruf erworben. Nun schweigen sie nicht nur zu den Greuelberichten aus Bosnien, Borba bringt sogar Reportagen ihres Korrespondenten Maric vor Ort, der behauptet, Tausende Muslimanen würden dem „friedlichen Bevölkerungsaustausch“ zustimmen: „Wir haben doch alle im Westen Verwandte, warum sollen wir in diesem zerstörten Land bleiben?“

Genauer informieren konnte man sich gestern nur an der Grenze zu Bosnien, wo das Sarajevoer Fernsehen empfangen werden kann. Während TV-Belgrad die „Konzentrationslager-Ente“ (Borba) ins Licht rückte, brachte das bosnische Fernsehen fast pausenlos westliche Berichte über die Gefangenenlager Omarska und Trnopolje in Nordbosnien — kommentarlos:

Männer stehen halbnackt ohne Hemd hinter dem Stacheldraht. Viele sind bis auf das Skelett abgemagert. Alle haben Angst, den westlichen Kamerateams zu antworten, die der bosnische Serbenführer Karadzic eingeladen hat, damit sie die „bosnischen Greuelberichte“ entschärfen. Eine Zusage Karadzic', die er noch bereuen wird. Denn die Bilder bezeugen die Unmenschlichkeit, denen muslimanische Häftlinge in serbischen Lagern ausgesetzt sind. Eine Antwort eines Insassen ist bezeichnend. Als er auf Mißhandlungen angesprochen wird, sagt der junge Mann: „Ich will nicht lügen, aber die Wahrheit kann ich nicht sagen.“ Auch ein Arzt wird gefragt. Es kostet ihn unendliche Überwindung bis er nickt. Dabei wandern die Augen gehetzt umher. Wurden viele geschlagen? Der Arzt starrt zur Seite.

Doch die amerikanischen Journalisten finden Beweise. Heimlich gemachte Fotos zeigen blutüberströmte Körper von Gefangenen mit Platzwunden im Gesicht. Dann ein Bericht von ABC aus den USA. Die Worte Radovan Karadzic', des bosnischen Serbenführers, klingen in dem Interview wie Hohn: „Wir sind doch im Krieg, das, was sie in den Berichten sahen, sind Kriegsverbrecherlager. Da ist doch klar, daß da nicht die besten Bedingungen herrschen.“ Roland Hofwiler, Novi Sad