Generalamnestie für Gewalttäter

Expertengruppe der südafrikanischen Regierung will gegen alle, die an politischen Gewalttaten beteiligt waren, gleichermaßen ermitteln/ ANC-Präsident telefonierte erstmals wieder mit de Klerk  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Straffreiheit für alle, die an politisch motivierten Gewalttaten beteiligt waren — auch für die Polizei und die Streitkräfte. Das hat eine Kommission der südafrikanischen Regierung vorgeschlagen. Die rassisch gemischte Expertengruppe, deren Leitung Richter Richard Goldstone übernahm, erklärte am Wochenende, das Amnestieangebot würde die Ermittlungsarbeiten wesentlich erleichtern.

Der Vorschlag Goldstones ist offensichtlich die Reaktion auf eine Empfehlung des UNO-Generalsekretärs Butros Ghali, der am Freitag gefordert hatte, gegen alle Gewalttäter gleichermaßen zu ermitteln. Die Kommission, die auch vom Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) anerkannt ist, wurde letztes Jahr eingerichtet, um Fälle der Gewalt und Einschüchterung zu untersuchen.

Richter Goldstone hält die Untersuchung der Sicherheitskräfte und verschiedener bewaffneter Gruppen in Südafrika für den wichtigsten Vorschlag der UNO. Alle politischen Parteien, so Goldstone, sollten eine solche Untersuchung uneingeschränkt unterstützen. Ermittelt werden soll vor allem gegen die südafrikanische Armee und Polizei, die Armee des ANC, Umkhonto we Sizwe („Speer der Nation“), die Polizei des Zulu-Gebietes Kwa Zulu und die Armee des Panafrikanistischen Kongresses (PAC). Eine Untersuchung „einzelner Vorfälle der Gewalt würde kaum mehr als die Spitze des Eisbergs“ aufdecken. Nur durch gemeinsames Vorgehen gegen die bewaffneten Gruppen sei es möglich, die politische Gewalt zu beenden, sagte Goldstone. Allein bei den Ausschreitungen in den Schwarzensiedlungen 1989 — dem Amtsantritt von Präsident Frederik de Klerk — waren rund 8.000 Menschen zum Opfer gefallen. Nach dem letzten Massaker im Juni, als in Boikpatong 42 Schwarze getötet wurden, war der ANC den Gesprächen über eine neue Verfassung ferngeblieben und hatte die Vereinten Nationen eingeschaltet.

Nach einer Sondersitzung des Weltsicherheitsrates hatte die UNO den Sonderbeauftragten Cyrus Vance, nach Südafrika entsandt. Vances Bericht ist die Grundlage der Vorschläge des UN-Generalsekretärs. Butros Ghali schlug neben der Untersuchung der Sicherheitskräfte vor, daß 30 UNO-Beobachter ständig in Südafrika stationiert werden. Außerdem sollen UNO-Gesandte mindestens alle drei Monate nach Südafrika kommen, um die Situation zu begutachten. Weiter plant Butros Ghali die Berufung eines angesehenen Schlichters, um zwischen den Parteien in Verhandlungen über eine demokratische Verfassung zu vermitteln.

Die südafrikanische Regierung hat sich bisher bei der Untersuchung von Übergriffen der Sicherheitskräfte sehr zurückgehalten. Vorschläge der Goldstone-Kommission zur Einschränkung der Aktivitäten bestimmter Militär- und Polizeieinheiten wurden erst nach Anmahnung durch die Kommission befolgt. Die Untersuchung einer Reihe von Übergriffen der Sicherheitskräfte wird bis heute verschleppt. Auch blockierten immer wieder Militär und Polizei die Untersuchungen. So wies die Polizei am Wochenende die Kritik eines unabhängigen britischen Experten an ihren Untersuchungsmethoden nach dem Boipatong-Massaker Mitte Juni weitgehend zurück. Die Art, wie die Polizei auf die Kritik des Experten reagiert habe, sei ein erneuter Ansporn für eine „umfassende Untersuchung der Methoden der Polizei“, sagte Goldstone am Wochenende.

Beobachter glauben, daß Präsident Frederik de Klerk bisher vor einem Durchgreifen gegen die Sicherheitskräfte zurückgeschreckt hat, weil er befürchtet, die Kontrolle über Polizei und Militär vollkommen zu verlieren. Diese widersetzen sich ohnehin mehr oder weniger offen der Autorität der Politiker. Ein Ausweg wäre eine allgemeine Amnestie, die Mitgliedern der Sicherheitskräfte Straffreiheit garantieren würde. Ob damit allerdings wirklich die Beteiligung von Sicherheitskräften an politischer Gewalt beendet werden kann, bleibt fraglich.

Viele Zeitungen warnen: „Weder Polizei noch Militär können ihre Legitimität wiedergewinnen, und das bedeutet letztendlich das Vertrauen der Bevölkerung, wenn es keine Katharsis gibt: Aufdeckung, Beichte und Absolution“, kommentierte am Sonntag die Johannesburger Sunday Times. „Es darf keine Vertuschung, keine versteckten Verbrechen oder Attentate geben.“

Jetzt versucht die Regierung eine Amnestie von Gefangenen, die der ANC für politische Häftlinge hält, durchzusetzen. Dazu gehören ANC- Mitglieder, die durch Bombenanschläge Zivilisten getötet haben. Gespräche über die Freilassung politischer Gefangener wurden durch die Vermittlung des UNO-Gesandten Vance Ende Juli wieder aufgenommen. Seitdem gibt es regelmäßige Gespräche zwischen ANC und Regierung zu dem Thema.

ANC-Präsident Nelson Mandela bestätigte am Wochenende, er habe wieder mit de Klerk telefoniert — zum ersten Mal, seit der ANC nach dem Boipatong-Massaker Mitte Juni die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen hatte.