Kunst in Trümmern

■ Gäste des Berliner DAAD, an ihrem empfindlichsten Punkt getroffen

Fassung A: Von Freunden alarmiert, stürzten Glyn Banks und Hannah Vowles ins Künstlerhaus Bethanien zu Berlin-Kreuzberg, um sich die gerade erschienene erste Nummer der Zeitschrift 241 zu besorgen. Von einer Karikatur in Rage gebracht, in der das Künstlerpaar, das unter dem Namen „Art in Ruins“ firmiert, sich selbst erkannte, bedrohten die englischen Künstler die Sekretärin des Künstlerhauses mit einem Messer, sprühten bedrohliche Botschaften an die Wände und leerten im Künstlerhaus, wo die Verleger von 241 unter dem Namen Lukas & Hoffmann ein Atelier haben, massenweise Müll aus. Als nächstes begaben sie sich zu den Kunst-Werken, einer ebenfalls gemeinnützigen Institution im ehemaligen Osten der Stadt, brachen dort das Büro von Lukas & Hoffmann auf, zerstörten eine Videoanlage für achttausend Mark, eine Multiple-Edition, die dort zwecks Verkauf gelagert wurde, und brachten die gesamte Auflage von 241 auf ungeklärte Weise beiseite. Die Verleger überzogen sie auf dem Anrufbeantworter mit Morddrohungen.

241 ist das, was man ein „Fanzine“ nennt; ein amateurhaftes Presseprodukt, mit dem ein Interessengrüppchen — ursprünglich im Sektor Rock — Gleichgesinnte zu erreichen versucht. Bei einem Heftpreis von zehn Mark (Auflage mutmaßlich um 1.000 Stück) und eher dürftigen Textbeiträgen fragt man sich sofort, ob das Unternehmen nicht eher dazu da ist, den Verlegern zu einem Einkommen zu verhelfen. Die Anzeigenseite kostet 750Mark. Das erfährt man auf einer großzügig gestalteten Seite, die außer der Preisliste — gewissermaßen zum Schmuck — die Karikatur zeigt, um die es geht. Vor einem wahrscheinlich als „abstrakt“ zu verstehenden Bild steht ein Paar mit Rucksäcken, auf denen das Kürzel „D&S“ erscheint. Er zu ihr: „I don't like this modern art! Why are we living in such a bad world and why can't we enjoy ourselves!“ Sie zu ihm: „Maybe we had more fun if you had a real niggerdick!!“

Zurecht sahen sich Glyn Banks und Hannah Vowles in dieser Karikatur dargestellt — und angegriffen. Das Künstlerpaar war in diesem Jahr Gast beim Berliner DAAD, ein begehrtes und gut dotiertes Stipendium. Mit bis zu vier Ausstellungen gleichzeitig hatten sie der Berliner Kunstszene Gelegenheit gegeben, ihre Arbeit kennenzulernen. Das Vorgehen von „Art in Ruins“ ist konzeptuell — die „D&S“-Rucksäcke waren vor zwei Jahren ihr Beitrag zur Hamburger Ausstellung „D&S“ gewesen —, ihre Themen sind rundum politisch. Ein konstantes Anliegen von „Art in Ruins“ war Südafrika; ein Teil ihrer Einnahmen, hieß es, flössen an den ANC.

Die Karikatur lanciert eine ganze Reihe von Unterstellungen. Erstens wird postuliert, die englischen Künstler, die sich für Spezialisten in der Analyse des Kunstgeschehens halten, seien tatsächlich abgehängt. Zweitens, ihr düsteres Weltbild sei verzahnt mit einem gestörten Hedonismus. Die dritte Unterstellung ist komplexer: mit dem Stichwort „Negerschwanz“ wird die Vorstellungswelt von „Art in Ruins“ gezielt verlassen; ihre Bekanntschaft mit Schwarzen und ihr Engagement gegen Rassismus wird als nicht-altruistisch gebrandmarkt. Es erscheint als Ausdruck einer gestörten Libido, die insgeheim mit der weißen Angst vor „schwarzer Potenz“ verknüpft wäre. Trinken heimlich Wein und predigen öffentlich Wasser.

Selbst ein nur kurzer Besuch bei den Mittdreißigern läßt ahnen, was jüngere Künstler zu diesem Ausfall provoziert haben mag. Banks und Vowles vertreten genau jene entnervende Rechtschaffenheit, die manche Schüler bei den Lehrern der 68er-Generation schon auf die Palme gebracht hat. Es ist der heilige Ernst, mit dem die beiden den Rahmen ihrer Kommunikation gepflastert haben — bis in die Ecken jeglichen Humors, den sie vehement verteidigen, wenn er politisch korrekt ist. Sie haben sich darauf eingeschossen, daß das 241-Magazin insgesamt „rassistisch“ sei und stellen die rhetorische Frage, ob jemals geprüft worden sei, ob diese jungen Künstler nicht möglicherweise Neonazis und Skinheads wären. Ihrer Meinung nach hätte eine Karikatur auf ihre Kosten so lauten können, daß sie ihm antwortet: „Let's go home and have a good fuck.“ So würde der Witz lauten, wenn die Bewitzelten ihn zensieren könnten. Man fühlt sich erinnert an den „Albtraum“ Durs Grünbeins von einer Bibliothek, die Wolf Biermann zusammengestellt hat. Es gibt noch ein Leben jenseits des Tabus.

Lukas & Hoffmann wiederum heißen mit bürgerlichen Namen Nicolaus Schafhausen und Markus Schneider und sind etwa ein Jahrzehnt jünger. Innerhalb kürzester Zeit haben sie sich in Berlin den Ruf verschafft, sie seien scharf aufs große Geld. Während man im Bethanien das Vorgehen der Künstler, im Atelier (des Künstlerhauses) Arbeiten anderer Künstler auszustellen und zu veräußern, durch das eingereichte „Konzept“ gedeckt sieht, hat sich in den Kunst-Werken ob der Umtriebigkeit von Schafhausen und Schneider Skepsis und Mißmut breitgemacht. Schneider gibt sich als Schüler von Martin Kippenberger aus, von dem Wolfgang Max Faust vor drei Jahren im „Wolkenkratzer“ schrieb, er sei „wie alle Zyniker letztlich ein Feigling“. Schneider genießt auch bei ihm Wohlmeinenden den Ruf, daß er seine Biographie mit hanebüchenen Lügen ausstaffiert, die sich innerhalb von Wochen als solche zu erkennen geben. Während man sich schon bei Kippenberger fragt, ob sein Künstlertum in irgendeiner Passion verortet ist, vertreten Schafhausen und Schneider die benachbarte, noch nervösere Spezies. Nicht wegen ihres „Rassismus“ sollten sie — wie „Art in Ruins“ fordern — ihre öffentlich subventionierten Arbeitsstätten räumen, sondern weil sie sich erstmal entscheiden müssen, ob sie Künstler oder Händler sind. Und jetzt die

Fassung B: Alarmiert von Freunden, begaben sich die britischen Künstler Banks und Vowles ins Künstlerhaus Bethanien, wo sie in der Zeitschrift 241 eine Karikatur von sich sahen, die Kritik an ihrer politisch-künstlerischen Arbeit mit einem Angriff auf ihre sexuelle Integrität verbindet. In einer ersten Reaktion ließen sie die Sekretärin des Künstlerhauses wissen, das Künstler- Duo Lukas & Hoffmann solle sich im Bethanien nicht mehr blicken lassen, und ihre Forderung würden sie notfalls mit Hilfe eines Messers durchsetzen, das sie zu handhaben wüßten (aber nicht bei sich trugen). Eine ähnlich lautende Nachricht ließen sie in Filzstift auf der Ateliertür von Lukas & Hoffmann. Sie leerten einen Papierkorb aus: „Art in Ruins“.

In den Kunst-Werken wurden, in der folgenden Nacht, von unbekannten Tätern die Türen des Büros von Lukas & Hoffmann aufgebrochen. Etwa zweihundert von siebenhundert dort gelagerten Exemplaren der 241 wurden zerrissen, ein Fernseher zu Boden geworfen. Ansonsten entstand kein Schaden.

Bevor die Herausgeber des Magazins, so ihre Erklärung an die Presse, in ihren „wohlverdienten Urlaub“ verschwanden, machten sie die Runde in den Buchläden der Stadt. Sie spielten den Buchhändlern ein Tonband vor, dessen Nachricht sie so interpretierten, daß sie mit dem Tode bedroht wären. Sie schlugen den Händlern — mit unterschiedlichem Erfolg — vor, das Fanzine in das Sortiment aufzunehmen. Ohne die Polizei einzuschalten, verbreiteten sie die Nachricht von dem ungeheuren Schaden, der ihnen zugefügt worden sei. In ihrer Abwesenheit wurde die Vermutung geäußert, der Einbruch in ihr Büro sei ihnen zumindest recht gewesen, um den Eindruck eines ungeheuren Skandals zu hinterlassen, dessen Ursache sie selbst seien. Ulf Erdmann Ziegler