Imperiale Logik, totalitäre Moral

„Die serbische Nation muß durch eine Intervention ernüchtert werden“, sagt der exilierte serbische Schriftsteller Mirko Kovac. Erst nach einer Niederlage wäre eine Wende zur Demokratie in Serbien möglich  ■ INTERVIEW: ERICH RATHFELDER

Mirko Kovac, serbischer Schriftsteller und Filmemacher (52), lebt seit einigen Monaten in Kroatien, nachdem er nach einer Kritik an Präsident Milosevic durch ein Rollkommando in Serbien bedroht worden war. Kovac war lange einer der bedeutendsten Vertreter der serbischen Opposition gegen den Kommunismus und jetzt auch gegen den „Faschismus von Milosevic“. Bekannter als in Deutschland ist er in Frankreich, wo einige seiner Bücher verlegt wurden. Sein essayistischer Roman „Einführung in das Zweite Leben“ machte ihn über Serbien hinaus bekannt.

taz: Sie sind als Kritiker des serbischen Präsidenten Milosevic unter Drohungen aus Serbien vertrieben worden. Jetzt leben Sie in Kroatien und sind deswegen in Serbien als Verräter gebrandmarkt. Was war der Anlaß für Ihre Emigration?

Mirko Kovac: Ich habe den serbischen Chauvinismus verurteilt, weil er sehr gefährlich ist. Im Februar habe ich einen Text bei der französichen Tageszeitung Libération mit dem Titel „Helden des Todes“ veröffentlicht. Es ist ein düsteres Protrait von Milosevic. Daraufhin wurde ich in Serbien angegriffen, man bespuckte mich auf der Straße, meine Wohnung wurde von Rollkommandos zerstört. Ich erhielt Drohbriefe. Es zeigte sich, daß die meisten Serben sich nach wie vor mit Milosevic identifizieren. Viele Serben haben sich als Terroristen erwiesen, sie haben eine Logik, die der von Orwell beschriebenen „Krieg ist Frieden“ und „Sklaverei ist Freiheit“ gleicht.

Dann habe ich auch noch gewagt, über den Staatspräsdenten der Jugoslawischen Föderation, Dobrica Cosic, in der kroatischen Wochenzeitschrift Danas zu schreiben (deren Erscheinen inzwischen aufgrund des Drucks der kroatischen Regierung eingestellt werden mußte, d.Red.). Cosic ist für mich eine der gefährlichen Gestalten der serbischen Politik, einer von jenen, die den Krieg ideologisch vorbereitet haben.

Populismus und Krieg

Vor zwei Jahren schrieb ich in der serbischen unabhängigen Wochenzeitschrift Vreme, daß das Resultat des serbischen Populismus ein blutiger Krieg sein wird. Ich habe die Entwicklung vorausgesehen und wollte selbst nicht an meine Analyse glauben. Deshalb schäme ich mich jetzt. Eines Tages werden Wissenschaftler eine Erklärung für die heute stattfindenden entsetzlichen Bluttaten finden müssen. Wir können dies letztendlich nicht erklären, wir können nur entsetzt darüber sein. Eines ist aber sicher: Die serbische Politik ist eine terroristische Politik. Serbische Politiker nehmen keine Gespräche an, sie halten sich nicht an Absprachen. Alles was an Schrecklichem passiert, ist von Belgrad aus dirigiert. Diese Bluttaten sollen die große Rache für 1941 sein, als die Serben unterdrückt wurden, als an ihnen ein Genozid verübt wurde.

Auch die serbischen Medien tragen eine große Schuld. Sie haben vier Jahre lang einen schrecklichen Propagandakrieg geführt, mit einem sehr großen Aufwand an Phantasie, um niedrigste Leidenschaften zu erwecken. Serbien ist sogar dabei, ein balkanisches Paraguay zu werden — ein Land, wo Verbrecher sich jederzeit verstecken können.

Die Hauptverantwortung dafür tragen jene serbischen Intellektuellen, die Milosevic von Beginn an, seit 1987, unterstützten. Außer einer Gruppe meiner Freunde, die Liberale sind und in offener Opposition zum Kommunismus standen, haben alle den neuen Führer unterstützt. „Ein Volk, ein Führer“ — das war die Stimmung. Von dem Kreis der Liberalen ist jetzt mehr als die Hälfte in die Emigration gezwungen worden. Viele meiner Freunde leben jetzt in Paris und in Berlin, in Los Angeles und anderswo.

Sie sagen, Intellektuelle wie Cosic tragen die Hauptverantwortung. Wie konnte es diesen nationalistisch denkenden Intellektuellen aber gelingen, die gesamte Gesellschaft in eine rigide, zerstörische Haltung hineinzuführen?

Wenn man mit den primitivsten Gefühlen spielt, ist dies verhältnismäßig leicht. Stichworte wie das der Verteidigung von serbischem Territorium, das „uns“ gehört, oder das, alle Serben sollten in einem Staat leben, fanden einen fruchtbaren Boden. „Der Feind bedroht uns“, wurde gesagt, „deshalb müssen wir uns einigen. Der Vatikan ist gegen uns, alle sind gegen uns.“ Ich glaube sogar, daß die Serben, so wie sie mit großer Leidenschaft zu töten, auch mit großer Leidenschaft zu sterben bereit sind. Aus der serbischen Literatur kennen wir diese Faszination.

Die Gruppe um Cosic, einige Historiker, sind Kranke, die ihr eigenes Verrücktsein auf das Volk übertragen haben. Es waren die Bücher über den Genozid an den Serben, die das neue Unrecht rechtfertigen. Die Kroaten haben die Zahlen der Opfer dieses Genozids verkleinert, die Serben haben die Zahlen maßlos übertrieben. Es sind diese Bücher, die den Krieg beförderten.

Wir Liberalen dagegen haben in Belgrad vier Jahre vor Ausbruch des Krieges Bücher über Menschenrechte und den Humanismus geschrieben, während sich der Faschismus in unserem Lande entwickelte. Jetzt müssen wir die Ohnmacht unserer Bücher zur Kenntnis nehmen.

Verrückte Strategie

Aber das „Memorandum über die Lage der serbischen Nation“ ist doch schon 1986 veröffentlicht worden. Es bleibt immer noch offen, wie diese Leute, nennen wir sie einmal nationale Intelligenz, es geschafft haben, die Bürokratie, das Militär, ja auch Milosevic selbst zu überzeugen, diese Strategie mitzuvollziehen?

Milosevic ist ein sehr geschickter Spieler. Er ist ein Kommunist, und als der Kommunismus begann, sich aufzulösen, blieb ihm die totalitäre Moral. Er hat einfach ihre Karte gespielt und sie haben begriffen, daß er ein ausgezeichneter Praktiker ist. Ihre Zusammenarbeit war wie von Gott gegeben. Andererseits ist er verrückt genug, um Massen bewegen zu können, die jene Verrücktheiten der nationalen Schriftsteller in sich einsaugten.

Wie erklären Sie sich dann aber, daß gerade eine Gruppe jener nationalistischen Schriftsteller sich kürzlich gegen Milosevic gestellt hat, so auch die Orthodoxe Kirche? Unterschätzen Sie nicht die Dynamik, die aus dieser Konstellation entspringen könnte?

Milosevic hat nicht mehr so funktioniert, wie sie es wollten. Er hat Terrain verloren, er hat Serbien in die Isolation geführt. Das werfen sie ihm jetzt vor. An ihren Zielen hat sich dabei nichts geändert. Sie werfen ihm vor, daß Karlovac noch nicht Hauptstadt der serbischen Krajina ist. Und die Kirche, das ist eine armselige Kirche, eine nationalistische Kirche. Sie ist unchristlich, diese serbisch-orthodoxe Kirche. Sie setzt jetzt lediglich auf den Antikommunismus.

Die Nationalisten kritisieren also vor allem das Mißmanagement von Milosevic.

Ja, und darum haben sie das Spiel mit dem König, mit dem Alexander Karadjordjevic (jugoslawischer Thronerbe, der kürzlich Belgrad erstmals wieder besuchte, d. Red.) angefangen, mit diesem lächerlichen König, der in London aufgewachsen ist und nicht einmal serbisch spricht. Ich freue mich über diese Komödie. Es ist eine göttliche Farce. Jetzt wollen sie beweisen, daß sie niemals Kommunisten waren, daß Titos Kommunismus ihnen aufgezwungen war — nach dem Motto: Wenn es den Kroaten Tito nicht gegeben hätte, dann wären wir niemals Kommunisten geworden. Deshalb wollen sie die Monarchie wieder erschaffen.

Mein Freund Philip David glaubt, daß diese Farce nun noch übertroffen ist: jetzt ist ein weiterer Serbe, der nicht richtig serbisch spricht — Panic — Ministerpräsident des serbisch- montenegrinischen Staates geworden.

Panic, der Kriegstreiber

Somit ist jetzt der Amerikaner und nicht der Engländer gekommen; ist die Wahl von Panic auch nur eine taktische Angelegeneheit?

Es ist durchaus möglich, daß die Entscheidung für Panic eine ganz durchsichtige Sache ist. Seit er gekommen ist, hat die stärkste militärische Offensive in Bosnien stattgefunden, die Zerstörung Bosniens insgesamt. Seit Cosic Präsident ist, sehen wir uns mit der Austreibung aller Nichtserben aus den von Serben beherrschten Gebieten in Bosnien konfrontiert. Es ist eine Säuberung mit der Absicht, jene militärisch eroberten Gebiete bei späteren Verhandlungen für Serbien zu erhalten.

Cosic hat, bevor er zum Präsidenten gewählt wurde, einen Vortrag in der Akademie der Wissenschaften gehalten und gesagt, daß er sehr zufrieden sei, daß „wir“ ausreichend Territorien besetzt und bei wenigen serbischen Opfern ethnisch gut gesäubert haben. Das hat er wörtlich gesagt. Panic erklärt, er sei gegen den Krieg, er sagt, man solle sich nicht allzu stark mit der Geschichte, sondern besser mit der Zukunft befassen. Um sich durchzusetzen, braucht der das Volk. Aber die serbischen Medien machen ihn schon jetzt lächerlich, er wird wohl bald das Handtuch werfen.

Immerhin setzt er auf den Umstand, daß Serbien eigentlich keine Chance mehr hat, den Krieg zu gewinnen. Er könnte die Figur sein, das Schlimmste zu verhindern — sozusagen ein Retter der Nation.

Ich glaube, bis es zur Bestrafung kommt, wird sich an den Verhältnissen in Serbien nicht viel ändern. Man sollte sich an die Geschichte Deutschlands erinnern, wo eine Ernüchterung erst nach der totalen Niederlage eingesetzt hat. Sie werden den Krieg lange führen, der Krieg wird weiterhin die Diskussion der gesellschaftlichen Probleme hinauszögern, am Krieg beginnen einige schon Gefallen zu finden. Eine neue Mythologie des Krieges wird geschaffen.

Bosnien als eigenständiger Staat wird sich wohl nicht halten können. Es gibt Anzeichen dafür, daß Serben und Kroaten nirgends, auch in Bosnien nicht, zusammenleben können. Ich bin zwar völlig dagegen, daß Bosnien aufgeteilt wird; ich bin für einen eigenständigen Staat Bosniens, wo die drei Völker Bosniens zusammenleben können — doch die Realitäten sind anders.

Kein Zusammenleben

Geben Sie da nicht zu schnell die Vision auf, daß ein Zusammenleben aller doch noch möglich ist?

Diese Frage stelle ich mir auch, aber sie führt zu einer Utopie. Ich habe vor vier Jahren geschrieben, daß Bosnien fester sein würde als Jugoslawien. Und ich habe mich geirrt.

Die Menschen in den Kellern von Sarajevo haben sich vielleicht nicht geirrt.

Viele sagen mir das. Ich habe mich in meinem Denken an der Geschichte Bosniens orientiert, wo die Menschen seit Jahrhunderten gewohnt waren, zusammenzuleben. Ich selbst habe meine Kindheit in der Herzegowina verbracht, ich stamme aus diesem Ambiente und ich will Ihnen sagen, daß ich an diese drei Völker geglaubt habe.

Nach all diesem Schrecken, nach diesem Entsetzen, nach dieser Zerstörung ist es jedoch einfach, die Schuldigen festzustellen. Und die Erkenntnis, daß es die Nachbarn waren, nicht die Fremden, ist einfach zu erlangen. Alles ist auf eine furchtbare Weise auseinanderdividiert worden. Serben haben nur einen kleinen Anteil an der Verteidigung Bosniens, auch Sarajevos. Die Zerstörung einer göttlichen Stadt wie Mostar wiegt in Zukunft vielleicht noch schwerer als die Zerstörung menschlichen Lebens. Wenn Serben an die 350 katholische Kirchen zerstört haben, Moscheen und Friedhöfe, also an die Wurzeln des kulturellen Lebens gegangen sind, ist ein weiteres Zusammenleben unmöglich geworden. Ich kann letztendlich keinem Serben dies verzeihen. Wir werden von einer kollektiven Schuld sprechen. Ich sage dies mit Trauer. Dubrovnik kann man eben nicht vergessen.

Der Raub der geschichtlichen Identität zielt darauf, dem anderen zu nehmen, was man selbst zu behaupten vorgibt — nämlich in einer Tradition, in einer Geschichte zu stehen. Man setzt demonstrativ den Wert der eigenen Geschichte höher als den der anderen an.

Zehn Jahre Terror

Dies ist in der Tat die serbische imperiale Logik. Die anderen werden höchstens noch als Teil der eigenen Kultur wahrgenommen. Serben haben davon gesprochen, daß Dubrovnik Ausdruck einer serbischen Kultur und nicht einer kroatischen sei — diesen absoluten Unsinn haben große serbische Intellektuelle behaupet. Freud sagt irgendwo, daß diejenigen Bürgerkriege den größten Haß in sich tragen, die auf die Vernichtung der Wirtschaft des anderen zielen. Das, was die Serben machen, geht noch darüber hinaus. Sie zerstören die kulturellen Wurzeln der anderen. Wenn wir dort nicht mehr sein dürfen, so die serbische Denkweise, dann sollen sie sich wenigstens in den nächsten Jahrzehnten quälen, ihre zerstörten Städte wieder aufzubauen.

Kann man den Krieg noch irgendwie eingrenzen, wenn schon nicht beenden?

Man kann ihn nicht mehr aufhalten, absolut nicht. Es wird ein langwieriger Krieg sein, vielleicht wird die Kampftätigkeit zeitweise abnehmen — aber wir werden zehn Jahre Terror haben. Ich sehe nicht, wie man ihn aufhalten könnte.

Immerhin schien noch vor wenigen Wochen die Hoffnung gerechtfertigt, die serbische Opposition in Gestalt des Bündnisses von Nationalkonservativen, von Vuk Draskovic und der demokratischen Opposition, könnte doch noch etwas erreichen, zumindest den Sturz von Milosevic.

Wir hatten in Bosnien-Herzegowina, dort, wo heute der blutigste Krieg geführt wird, die einzige richtige Friedensbewegung. Wir sehen also ein Paradoxon; alles ist verkehrt herum. Die serbische Opposition — ich meine einschränkend die kleine Gruppe der Liberalen und die Friedensbewegung — wurde von Cosic Verräter genannt, weil sie die einzige Gruppe in der Gesellschaft ist, die gegen den Krieg ist. Die Rest der serbischen Opposition ist nur in einem globalen Zusammenhang gegen den Krieg. Vuk Draskovic zum Beispiel ist mein Freund, ein netter Mann; er hat jedoch als erster die bestehenden Grenzen in Frage gestellt. Nur hinzugefügt: der serbische Schriftsteller Milorad Pavic hat schon vor zwei Jahren gesagt, er wisse, wie man die Grenzen verändert — nämlich durch Krieg.

Mit diesen Unklarheiten kann eine Bewegung gegen Milosevic nicht wachsen. Milosevic kann nur von seinen eigenen Leuten gestürzt werden. Er verfügt nach wie vor über einen großen Rückhalt in der Bevölkerung: 60 Prozent der Serben sind für ihn. Das weiß er und deshalb fühlt er sich sicher. Das Volk, die Militärpensionäre, die Hausfrauen, die Arbeiter und Bauern sind für ihn. Und diese vier Gruppen in der Bevölkerung verachten die Opposition. Ich wurde von solchen Leuten auf der Straße angespuckt.

Wenn sich die Machtverhältnisse in Serbien nicht verändern lassen, auch nicht durch die Opposition und auch nicht durch Panic, dann ist es ja durchaus gerechtfertigt, eine militärische Intervention der UNO zu fordern.

Ohne eine Kapitulation gibt es keine Ernüchterung in Serbien. Die Katastrophe muß zum Ende geführt werden. Serbien befindet sich vor dem Untergang, isoliert und alleine. Ein Bürgerkrieg in Serbien könnte die nächste Stufe der Eskalation sein — denken Sie nur an Kosovo.

Andererseits werden die Serben im Falle einer Intervention von außen zweifellos kämpfen. Und wer soll die militärische Intervention ausführen? Das hier ist kein Kuweit. In Belgrad sprechen alle von einem Bombenangriff. Es scheint, als sei es ein fast masochistisches Bedürfnis, bombardiert zu werden. Hierin manifestiert sich das schlechte Gewissen. Ich glaube tatsächlich, daß solch ein Angriff ihnen gut tun würde. Eine Angriff auf militärische Ziele könnte sie ernüchtern und der Opposition einen Vorteil geben.

Ich bin überzeugt, im Falle einer militärischen Niederlage wäre die Opposition bereit, die Kapitulation zu unterschreiben, um zu dokumentieren, daß dies nicht die Kapitulation Serbiens wäre, sondern die der serbischen Politik. In diesem Sinne unterstütze ich die Idee von einer miilitärischen Intervention. Unter der Voraussetzung aber, daß sie sich auf den Angriff auf militärische Ziele konzentriert. Ich erwarte immer noch, daß die Sanktionen Resultate zeigen. Aber da muß man eine lange Frist einkalkulieren. Bis dahin werden sie alles vernichten, was ihnen zwischen die Hände kommt.