Armenisches Dorf erobert

■ Armenien fordert in einem Apell an die GUS-Staaten militärisches Eingreifen

Jerewan (Reuter/AFP/taz) — Zum ersten Mal seit Beginn des unerklärten Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan, hat Armenien gestern offiziell um militärische Unterstützung einiger GUS-Staaten gebeten. Damit so der Sprecher des armenischen Staatspräsidiums, Ruben Schugarijan, solle eine Gegenoffensive gegen Aserbaidschan gestartet werden. Das armenischen Verteidigungsministerium werde alles tun, um eine moderne Militärausrüstung dafür aufzutreiben.

Der Grund für den Apell: In der Nacht zum Sonntag hatten aserbaidschanische Truppen die armenische Region von Goris an der aserbaidschanisch-armenischen Grenze bombardiert. Gleichzeitig war die armenische Enklave Artswaschen erobert worden — ein Dorf, das staatsrechtlich zwar zu Armenien gehört, aber hinter der Grenze, in aserbaidschanischem Gebiet liegt. Die einzige Verbindung mit Armenien ist ein sechs Kilometer langer, schmaler Korridor. Kurz vor dem Angriff der Aserbaidschaner konnten die 2.500 Dorfbewohner in die nahegelegene Bezirkshauptstadt Krassnoselsk evakuiert werden. Trotzdem sind nach armenischen Angaben 32 Armenier getötet worden. Ungewiß sei darüberhinaus auch das Schicksal von 36 armenischen Soldaten, die zur Verteidigung des Ortes zurückblieben. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium gab dagegen bekannt, 300 Armenier getötet zu haben. Diese Zahl muß allerdings in dem Zusammenhang gesehen werden, daß Aserbaidschan in der letzten Zeit dazu übergegangen ist, seine „militärischen Fortschritte“ besonders zu unterstreichen, um den „Gegner einzuschüchtern“.

Mit Artswaschen hat Aserbaidschan erstmals seit des Konfliktes um Nagorny Karabach ein zu Armenien gehörendes Dorf erobert. Deshalb müßte, zumindest theoretisch, der im Mai 92 vereinbarte Sicherheitspakt zwischen Armenien, Rußland und vier weiteren asiatischen GUS-Staaten in Kraft treten. Damals, beim GUS-Gipfel in Taschkent, war zwischen den unterzeichnenden Staaten vereinbart worden, daß im Falle eines militärischen Angriffs dem betroffenen Land „politisch, militärisch oder auf andere Weise“ zu Hilfe geeilt wird.

Doch der Sprecher des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums, Gabil Kokcharli, hält einen Eingriff Moskaus für ausgeschlossen: „Ich denke, sie werden die letzten Ereignisse sorgsam studieren, und dann ein Kompromiß suchen, um den Konflikt zu stoppen.“ Die bisherige Haltung Rußlands scheint ihm recht zu geben. Bisher war Präsident Jelzin immer bestrebt, Vermittlungsgespräche mit beiden Seiten zu führen, ohne dabei direkt Partei zu ergreifen.

Anders der türkische Außenminister Hikmet Cetin. Zu Beginn eines dreitägigen Besuchs seines aserbaidschanischen Kollegen Towfik Kasimow in Ankara forderte er, Armenien solle sich aus den besetzten aserbaidschanischen Gebieten zurückziehen. Ansonsten sei die Türkei bereit, Aserbaidschan zu unterstützen. BZ