Natur ersetzt Axt und Säge

■ Umweltsenator ist zufrieden mit seinem Hamburger Staatsforst: Zehn Jahre naturnahe Waldwirtschaft haben den Bäumen gut getan / Nur die Rehe nerven

: Zehn Jahre

naturnahe Waldwirtschaft haben den

Bäumen gut getan / Nur die Rehe nerven

Hoch auf dem grünen Wagen fuhr gestern Umweltsenator Fritz Vahrenholt durch den Hamburger Staatsforst. Unterstützt von gestiefelten Forstfachleuten, erklärte der waidmännisch gekleidete Senator bei einer Kutschfahrt die ersten Ergebnisse naturnaher Waldwirtschaft. Ein Baum lebe langsamer und länger als der Mensch, da könne man mit den kleinen Erfolgen durchaus zufrieden sein.

„Der Wald soll vor allem Erholungswert haben. Als Biotop hat er eine Schutzfunktion“, erläutert Vahrenholt. „Wirtschaftlichkeit ist nicht länger das wichtigste Kriterium.“ Vor zehn Jahren hat sich das Land als erstes im Bundesgebiet verbindlich für naturnahe Waldwirtschaft entschieden. So verzichten die neun Hamburger Förstereien in den 4300 Hektar Wald auf Pestizide und bemühen sich um standortgerechte Aufforstung.

Gemächlich schaukeln zwei echte „Holzrücke-Pferde“ Journalisten und Waldspezialisten durch den kühlen Harburger Forst. Nach wenigen Metern heißt es schon wieder „Absteigen und ab ins Unterholz“. So etwas hat es vor zwanzig Jahren an dieser Stelle nicht gegeben. Denn wenn nach einem Kahlschlag gleichmäßig aufgeforstet wird, lassen die gleichgroßen Bäume kein Licht durch. Folge: am Laubboden kann nichts wachsen. Erst behutsames Auslichten ermöglicht natürliche Verjüngung. Bilden die Baumkronen kein geschlossenes Dach mehr, so versamen sich die Bäume wieder selbstständig, Schößlinge bekommen ausreichend Licht. „Hier tobt das Leben“, beschreibt Rainer Wujciak, leitender Forstdirektor, das natürliche Treiben.

Die naturgemäße Waldpflege erfordert wenig Aufwand. „Mutter Natur ersetzt Axt und Säge des Försters“, stellt Rainer Wujciak zufrieden fest. Völlig verhindern kann die Forstverwaltung Eingriffe und damit Kosten jedoch nicht. Rund 10 Millionen Mark erfordert die behutsame Umwandlung jährlich. Eine Million Mark werden durch Holzverkauf erwirtschaftet. Langfristig verringert sich aber im standortgemäß aufgeforsteten Mischwald der Schaden, den Borkenkäfer, Wind und Schneebruch anrichten. Obwohl in einigen Gebieten der Reh- Abschuß in den letzten zwei Jahren verdoppelt wurde, fallen junge Bäume immer noch häufig dem „Verbiß“ zum Opfer. „Die Dunkelziffer beim Rehwild liegt bei mehreren Hundert Prozent“, so Wujciak. Die Zahl der Rehe könnte nicht ermittelt werden, da man sie nie alle

1zu Gesicht bekäme. Borkenkäferbefall käme kaum mehr vor.

Die 100 Mitarbeiter der Forstverwaltung haben auch ohne Käfer genug zu tun. Untersuchungen der Bodenschichten sollen zeigen, welche Baumarten an einem Standort beste spezifische Wachstumsbedingungen vorfinden. Neben Buchen und Eichen, den natürlichen Lokalmatadoren in Norddeutschland, werden Birken, Haselnußsträucher und Vogelbeeren angepflanzt. Standortgemäß heißt nicht automatisch standortheimisch. Auch ausländische Bäume, wie die fichtenähnlichen nordamerikanischen Douglasien, wachsen hervorragend auf hiesigen Böden. „Wir haben es hier mit einer multikulturellen Baumgesellschaft zu tun“, freut sich Wujciak. Christine Wollowski