»16E«: Außer Rand und Band

■ Polizisten ziehen seit Jahren als Schlägertrupp durch das Schanzenviertel / Ermittlungsverfahren werfen die Frage auf, ob sich die Staatsanwaltschaft der Rechtsbeugung schuldig gemacht hat

Vor drei Jahren sorgte die Sondereinsatzgruppe „16E“ des Polizeireviers Lerchenstraße (PR 16) für Schlagzeilen: Bei gewalttätigen Einsätzen und ihrem privaten Kampf gegen die linke Szene im Großraum St.Pauli/Schanzenviertel gab es immer wieder blutige Köpfe (taz vom 13. und 19. Dezember 1990). taz-Veröffentlichungen zwangen damals SPD-Innensenator Werner Hackmann zum Handeln. Im Frühjahr 1991 versetzte er den „16E“-Chef Christoph Stapsmann, dem Ex-Chef des „Einsatzzuges Mitte 1“ Söhnke Harms wurde die Leitung übertragen — er sollte die Truppe in den Griff bekommen. Vordergründig ist es um die Beamten ruhiger geworden, aber der Schein trügt. Durch die Rückendeckung der Staatsanwaltschaft, die bisher alle Strafermittlungsverfahren einstellte — seit 1988 immerhin fast 100 Anzeigen — führen einige „16E-“Mannen ihren Privatkrieg weiter.

Einen jungen Mann fast zu Tode geprügelt

Wenn sich Frank F. und Julia V. an den 27. Juli des vergangenen Jahres erinnern, bekommen beide heute noch Beklemmungen und Angstgefühle. Der 25jährige und seine 23jährige Ehefrau hatten in jener Sommernacht vor dem „Golem“ (gegenüber der Roten Fora) gemütlich ihr Bier getrunken. Gegen drei Uhr morgens beobachtete Julia, wie vor der Flora ein Golffahrer versuchte, ein Stellschild zu zerstören. Als sich um den Golf ein Menschenpulk bildete, ging auch Julia V. hinüber. Plötzlich sprangen vier Männer aus dem Wagen, Schreie hallten durch die Nacht: „Achtung Faschos!“ Julia rannte in Richtung Rosenhofstraße davon, wurde wenig später aber von vier mit schwarzen Dreieckstüchern vermummten Männern gegriffen und zu einem VW-Bus gezerrt. Frank sah den Vorfall vom „Golem“ aus: „Die Leute sahen aus wie Schläger aus dem Zuhältermilieu.“ Er rannte sofort zu dem VW Bus, rief lauthals „loslassen!“ Frank zur taz: „Ich dachte, die wollten Julia entführen. Ich wollte das unterbinden, hab' nur gedacht, sonst sehe ich Julia nie wieder.“

Frank rannte so schnell er konnte, aus dem Laufen heraus warf er aus rund 15 Metern Entfernung seine halbvolle Bierflasche auf die vermeintliche „Zuhältergang“. Durch die Flasche wurde „16E“-Fahnder Markus Priebe — bekannter Aktivist der Truppe, an jenem Abend mal wieder inkognito — am Kopf getroffen und erlitt eine Platzwunde. Was dann geschah, erinnert Frank nur noch partiell: „Ich wurde von hinten von fünf oder sechs Männern gepackt und zu Boden gerissen und bekam einen heftigen Tritt mit dem Stiefel ins Gesicht, Knüppelschläge auf den

1Rücken. Mit Fäusten und Knüppeln schlugen sie unaufhaltsam auf mich ein, riefen dabei: 'Du Schwein, du Schwein!‘“ Und: „Ich dachte, die bringen mich um.“ Zu dem Zeitpunkt wußte Frank immer noch nicht, daß es sich um Polizeibeamte handelte. „Die haben sich nicht als Polizisten zu erkennen gegeben. Wenn ich gewußt hätte, daß das Polizisten sind, wäre ich doch niemals auf die losgegangen.“

An die Ereignisse im VW-Bus kann sich Frank nur noch bruchstückhaft erinnern. „Sie haben mich weiter geschlagen, meinen Kopf auf die Rückbank gedrückt.“ Doch dann wurde ihm schwarz vor Augen. Julia: „Ich konnte nicht genau sehen, was sie gemacht haben, weil Beamte meinen Kopf festgehalten haben. Ich hörte hinten immer dumpfe Schläge, wie mit dem Schlagstock, und Schreie. Und plötzlich hörte Frank auf zu schreien — er muß bewußtlos geworden sein. Dann hat einer gesagt: 'Christopher ist verletzt, es ist besser, ihn abzuknallen‘.“

In der berüchtigten Tiefgarage der Wache 16 zerrten die „16E“-Beamten Frank an den Füßen aus dem VW-Bus, wodurch er mit dem Kopf auf den Beton schlug. „Dadurch muß ich wieder aufgewacht sein.“ Er wurde in die Wache gebracht. Frank: „Ein Uniformierter sagte, man solle aufhören, damit ich nicht hier krepiere. Darauf erwiderte einer: Das Blut, was ein Kollege verloren hat, dies gelte es nun aus mir herauszuschlagen.“ Wenig später war es soweit. Frank: „Ich bekam mehrfach Tritte und Ohrfeigen. Beamte kamen in die Zelle und zeigten auf mich: 'Da sitzt das Schwein‘.“ Und: „Dann kam ein Beamter mit Lederhandschuhen herein, schlug mehrfach mit Fäusten auf mich ein und meinte: 'Wenn du noch mal schräg ins Viertel spuckst, machen wir dich fertig‘.“ Dann lag Frank schwerverletzt in der Zelle. Erst am nächsten Morgen reagierte ein Staatsschützer auf Franks Zustand, weigerte sich, eine Vernehmung durchzuführen, alarmierte statt dessen einen Rettungswagen.

Im Hafenkrankenhaus attestier-

1ten die ÄrztInnen Frank schwere Prellungen, Gehirnerschütterung und Nierenblutungen. Teilweise hatten die Blutergüsse die Form von Stiefelabdrücken oder Knüppelhieben. Frank lag eine Woche im Krankenhaus, war sechs Wochen arbeitsunfähig.

Staatsanwaltschaft schließt Augen und Akten

Franks Anzeige gegen die Beamten der „16E“-Schicht wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung hat nun die zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft — in Juristenkreisen auch „Strafvereitelungsbehörde“ genannt — eingestellt. Dubiose Begründung: Den Beamten könne „keine konkrete Handlung zugeordnet werden“. Oberstaatsanwältin Marion Zippel: „Der Vorwurf, die davongetragenen Prellungen könnten ihm von Polizisten in Tötungsabsicht zugefügt worden sein, entbehrt schon deshalb der Grundlage, weil die hierfür in der Anzeige angeführten Äußerungen von den in Betracht kommenden Beamten zurückgewiesen werden.“

Auch Hafenstraßen-Anwalt Jens Waßmann beißt seit mehreren Jahren — wenn es um die Strafverfolgung der berüchtigten „16E“-Truppe geht — auf Granit. Sein Erlebnis ereignete sich in der Neujahrsnacht 1990. Nachdem es Randale an der Ecke Davidstraße/Bernhard-Nocht- Straße gegeben hatte, bei der ein Peterwagen umgekippt und angeblich eine MP entwendet worden war — das Ganze entpuppte sich später als polizeilich inszenierte Falschmeldung —, setzte die herbeigeeilte „16-E“-Truppe zur Durchsuchung der Bauwagenburg an den Hafenstraßenhäusern an. Wahllos wurden die Wohngefährte demoliert. Mit von der Partie: „16E“ler Christoph Stapmann, Markus Priebe, Heinz-Dieter Bohla und Oliver Born. Als Jens Waßmann intervenierte, bekam er einen Knüppelschlag auf den Hinterkopf. Die betroffenen Bauwagenbewohner stellten Strafantrag wegen Sachbeschädigung. Das Verfahren wurde eingestellt, weil sich die „16E“-Fahnder auch in diesem Fall gegenseitig deckten. Staatsanwalt Jürgen Gammelin: „Den Beamten kann nicht nachgewiesen werden, die Schäden verursacht zu haben.“ Und auch Waßmanns Strafantrag wegen Körperverletzung wurde von Gammelin eingestellt. „Die Beamten haben erklärt, weder Waßmann geschlagen noch beobachtet zu haben, wer als Täter in Betracht kommt.“ Daß es bei den Ereignissen nicht mit rechten Dingen zuging, mußte selbst Polizeijustitiar Matthias Burba eingestehen: „Allerdings ist festzuhalten, daß die Ermittlungen doch deutliche Anhaltspunkte dafür ergeben haben, daß jedenfalls eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von einzelnen Polizeibeamten, ohne daß diese Namen benannt werden konnten, nicht ausgeschlossen werden kann.“ Die Polizei zahlte Jens Waßmann 1842,52 Mark Schmerzensgeld.

Trotz der kaum nachvollziehbaren Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaft weist Sprecher Rüdiger Bagger Vorürfe zurück, wonach seine Behörde die Machenschaften der „16E“-Truppe decke. Bagger: „Nach ausgiebiger Prüfung der Aktenlage im Fall Frank F. ist die Sachbearbeiterin zu keinem anderen Ergebnis gekommen, als das Verfahren einzustellen.“ Bagger räumt allerdings ein, daß es einen langsam stutzig machen könnte, wenn die Ermittlungsergebnisse im Fall „16E“ nie zu einem anderen Ergebnis kommen als die Einstellung. Baggers Erklärung: „Wenn ein Angriff von außen kommt, kommt es leicht zum Schulterschluß — das ist menschlich.“ Die Staatsanwaltschaft müsse aber trotzdem „konkrete Anhaltspunkte“ dafür haben, daß sich die Beamten durch gegenseitige Falschaussagen decken. Bagger: „Solche Dinge haben wir im Hinterkopf, und irgendwann werden wir auch reagieren.“

Innerpolizeiliche Untersuchungen

Ein Staatsanwalt, der gern anonym bleiben möchte, geht sogar einen Schritt weiter: „Es ist die Aufgabe von Innensenator Werner Hackmann, für strafrechtlich korrektes Handeln im PR 16 zu sorgen. Zur Not muß eine spezielle Polizeieinheit aufgebaut werden, die solche Beamte, die durch strafrechtliche Vergehen oder kriminelle Handlungen auffallen, verfolgen und überführen.“ Trotz dieser harten Worte sieht die Innenbehörde derzeit keinen Grund zum Handeln. Sprecher Peter Kelch: „Die Beschwerde- und Anzeigenlage gegen die Wache 16 hat sich beruhigt.“ Die Behörde habe derzeit „keine Feststellung“, daß etwas nicht im rechten Lot sei. Und im Hamburger Journal (NDR) übernahm Innensenator Werner Hackmann unlängst „sehr gern die politische Verantwortung“ für das Wirken der Polizei, „auch für die

1E-Schichten“.

Über derartige Stellungnahmen sind Frank F. und Julia V. entsetzt. Frank: „Ich komm' damit nicht klar, ich kann mich damit nicht abfinden.“ Beide sind seit einem Jahr als Folge des Schocks kaum noch ausgegangen, wollen aus dem Viertel wegziehen. „Ich bin ein Jahr nicht mehr übers Schulterblatt ge-

1gangen. Und das Losgehen und Spaß haben, mal 'n Konzert, mal 'n Kneipenbesuch, ist vorbei.“ Julia: „Im Prinzip haben sie mit ihrem Psychoterror erreicht, was sie wollten — von wegen, wenn ihr noch mal ins Viertel spuckt. Wir haben Angst, in diesem Viertel spazieren zu gehen. Magda Schneider/Kai von Appen