Wird aus dem Marx-Engels-Forum wertvolles Bauland?

■ Für das Marx-Engels-Forum liegen mehrere Restitutionsansprüche vor, doch geändertes Vermögensgesetz regelt die Ansprüche neu/ Solange sich die Behörden nicht einig sind über die Zukunft des Geländes, gibt es keinen Bebauungsplan/ Klingbeil verhandelte um Grundstücke am Marx-Engels-Forum

Mitte. Im Berliner Grundstückspoker werden die Karten nun neu gemischt. Nach der Änderung des Vermögensgesetzes, die der Bund Anfang des Monats beschlossen hat, dürfen Grundstücke der sogenannten Liste C — das ist meist ehemals jüdisches, zum Teil aber auch ausländisches Eigentum in den neuen Ländern — nicht mehr per Investitionsvorrang, also gegen den Willen des Alt-Eigentümers an private Investoren vergeben werden. Damit müssen die Planungen für viele Berliner Großprojekte oder baureife Flächen, für die bisher noch keine Investitionsbescheide nach dem Paragraphen 3a des Vermögensgesetzes vergeben wurden, revidiert werden. Denn zumindest in der Berliner Innenstadt gehörten bis 1933 ein Gutteil der Parzellen jüdischen Eigentümern — in der Senatsbauverwaltung spricht man von 70 bis 80 Prozent. Neue Probleme aber deuten sich an: Aus dem neuen Gesetz läßt sich nicht zweifelsfrei ablesen, ob dies auch dann gilt, wenn die ehemaligen Eigentümer der auf der Liste C verzeichneten Grundstücke ihren Restitutionsanspruch verkaufen.

Beim Justizministerium geht man davon aus, daß ein Großteil des vormals jüdischen Grundbesitzes auf der noch von der DDR aufgestellten Liste C zu finden ist. Denn schließlich sei diese Regelung unter Beteiligung der Jewisch Claims Conference gefaßt wurde, die sich um jüdischen Grundbesitz kümmert, dessen ehemalige Eigentümer in der NS-Zeit ermordet wurden. Der Pressesprecher der Finanzverwaltung, Thomas Butz, weiß von etwa 2.000 auf dieser Liste verzeichneten Grundstücken in Berlin, was seiner Schätzung nach mindestens der Hälfte der jüdischen Grundstücke entspricht.

Wird das Marx-Engels- Forum bebaut?

Ein Beispiel für die neue Rechtslage ist das Marx-Engels-Forum, einer der wenigen grünen Plätze im künftigen Regierungsviertel in Berlin Mitte. Das zirka 40.000 Quadratmeter große Gelände zwischen Spree und Spandauer Straße, derzeit in der Verfügung des Landes Berlin, wird möglicherweise bebaut und damit wertvollster innerstädtischer Grund. Darüber sind sich allerdings die Behörden bisher nicht einig: Bausenator Nagel (SPD) wie auch die Stadträtin des Bezirks Mitte, Dorothee Dubrau (Bündnis), wollen den Park, in dem »Sacco und Jacketti« stehen, behalten. Auch mehrere Architekten, die zur Zeit für die Stadtentwicklungsverwaltung ein Gutachten für die Stadtmitte erarbeiten, plädieren eher für Grün. Der Staatssekretär des Stadtentwicklungssenators, Wolfgang Branoner (CDU), und Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) sind hingegen für eine Bebauung, allerdings nicht für Regierungszwecke. Solange sich die Behörden nicht einig sind, war im Bezirksamt Mitte zu erfahren, wird auch kein Bebauungsplan aufgestellt, der die Zukunft des Geländes rechtskräftig festschreiben würde.

Vor dem Krieg, bis in die Bombennächte 1944 und 1945 hinein, war auf dem heutigen Marx-Engels- Forum ein dichtbebautes Areal: Zwischen der Spandauer Straße und der damaligen kleinen Poststraße lag beispielsweise das Postamt Mitte. Aber auch viele einzelne Hauseigentümer — Fabrikanten, Kaufleute, Geschäftsleute — hatten dort Grundbesitz. Darunter waren auch jüdische Eigentümer: Ein Herr Jacobsohn etwa, dessen Haus in der Heiligegeiststraße 15 Anfang der vierziger Jahre an einen Dr. Diehl ging oder die Teigwaren-Handelsgesellschaft Jurezka, deren Haus in der Heiligegeiststraße 17-18 ein Dr. Bankier übernahm. Die Heiligegeiststraße 20 der Wollinschen Erben wurden zur NS-Zeit unter Zwangsverwaltung gestellt, wie auch die Heiligegeiststraße 13-14 und die Burgstraße 21 der Konfektionäre van Bienen & Fischbein. Die Heiligegeiststraße 21 der Grundstücksgesellschaft »City« ging zum gleichen Zeitpunkt an einen Uniformfabrikanten Biohl&Co, die Heiligegeiststraße 22 der Norddeutschen Immobiliengesellschaft an die Grundstücksverwaltung der Dresdener Bank. Ob es sich in allen Fällen um sogenannte »Arisierungen« jüdischen Eigentums handelt, muß jedoch erst geklärt werden.

Klingbeil-Geschäftsführer war das Risiko zu hoch

Fest steht jedoch, daß eine Reihe dieser Alt-Eigentümer Anträge auf Restitution ihres Grundbesitzes gestellt haben, wie es die Finanzverwaltung bestätigte. Einige davon versuchen bereits jetzt, ihre Grundstücke — beziehungsweise die Restitutionsansprüche — zu verkaufen. So sei, berichtet der Geschäftsführer der Klingbeil-Gruppe, Axel Guttmann, ein ehemaliger jüdischer Eigentümer an ihn herangetreten und habe der Gruppe sein 1.000 Quadratmeter großes Grundstück in der — inzwischen nicht mehr existierenden — Heiligegeiststraße für etwa 5.000 Mark den Quadratmeter zum Kauf angeboten. Das Geschäft sei, so Guttmann weiter, jedoch daran gescheitert, daß der Alteigentümer ein sofortiges Handgeld von einer guten Viertelmillion Mark hätte haben wollen, während der eigentliche Kaufpreis erst dann fällig wird, wenn die Restitution tatsächlich erfolgt ist. Dieses Handgeld jedoch, das unabhängig davon auf alle Fälle bezahlt werden muß, sei der Klingbeil- Gruppe angesichts der unklaren Rechtslage ein zu hohes Risiko gewesen. Schließlich wisse man nicht, was das Land Berlin mit dem Gelände vorhabe.

Andere Baulöwen haben aber womöglich trotzdem zugeschlagen: Im Bezirksamt Mitte weiß man jedenfalls von einer Reihe Investoren, die auf dem Marx-Engels-Forum Ansprüche von Alt-Eigentümern aufkaufen oder aufkaufen wollen. Ob diese nun per Investitionsvorrang zum Zuge kommen können, ist unklar. Denn nach der neuerlichen Vermögensrechtsänderung sind — wie berichtet — Aufkäufer von Restitutionsansprüchen von diesen Vorrangverfahren ausgeschlossen. Nur noch »wirkliche« Alt-Eigentümer beziehungsweise deren Verwandte werden dabei berücksichtigt. Ob das auch für die Grundstücke der Liste C gilt, ist jedoch strittig. Finanzsprecher Butz vertritt die Ansicht, daß auch hier die Aufkäufer der Restitutionsansprüche von den Vorrangverfahren nach dem Paragraphen 3a ausgeschlossen sind. Der Fachreferent im Bundesjustizministerium, Reichenbach, meinte hingegen auf Anfrage, dies sei eine »interessante und nachdenkenswerte Frage«, die im Gesetz nicht eindeutig definiert sei. Falls es jedoch dem Geist des Gesetzes entsprechen würde — das auf Wunsch der Jewisch Claims Conference konzipiert worden sei — könnten Gerichte durchaus zu dem Schluß kommen, daß Parzellen, deren Restitutionsansprüche verkauft worden seien, wieder für Vorrang-Verfahren zur Verfügung stünden, so Reichenbach. Denn das Interesse der Claims Conference, die Hinterbliebene des Holocaust, aber auch jüdische Krankenhäuser und Kindergärten unterstützt, ist es, rasch viel Geld für ihre Grundstücke zu bekommen. Sollte ein Investor, der ein solches Grundstück erwirbt, damit aber keinen Anspruch mehr auf einen Investitionsvorrang haben, so dürfte auch das Interesse von Investoren an vormals jüdischen Grundstücken nachlassen. Das kann nicht im Interesse der Claims Conference sein.

Was geschieht, wenn der Park weichen muß?

Ob aber die Ansprüche der Alteigentümer beim Beispiel Marx-Engels- Forum überhaupt realisiert werden können, ist noch aus anderen Gründen ungeklärt. Denn nach dem Einigungsvertrag sind Flächen, die dem Gemeinbedarf dienen, nicht mehr an die Alt-Eigentümer zurückzugeben, weiß Helmut John von der Berliner Oberfinanzdirektion. Und zum Gemeinbedarf gehören öffentliche Gebäude — beispielsweise das ehemalige Außenministerium der DDR — aber auch Parkanlagen. Wenn aber aus dem Park wieder Bauland wird, dann, befürchtet John, werden sich genügend Juristen dafür einsetzen, daß die Restitutionsansprüche wieder greifen.

Zu den Juristen, die sich mit den Grundstücksverhältnissen auf dem Marx-Engels-Forum beschäftigen, gehört etwa die renommierte Kanzlei des Präsidenten des Landesverfassungsgerichtes, Klaus Finkelnburg. Auch beim Finanzsenator und beim Bundesjustizministerium ist man der Meinung, daß Restitutionsansprüche nachträglich wieder aufleben können. Der Tag, auf den es ankomme, meint Ministerialvertrater Reichenbach, sei der des letzten Gerichtstermins bei Auseinandersetzungen um das Grundstück: Erst wenn zu diesem Termin die Fläche noch Gemeinbedarf sei, sei der Restitutionsanspruch abzuweisen. Bis jedoch alle Flächenansprüche in Berlin-Mitte gerichtlich geklärt sind, werden noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen.

Es bestehen also gute Chancen, daß die Restitutionsansprüche beim Marx-Engels-Forum rechtskräftig werden — vorausgesetzt, diejenigen Vertreter von Land Berlin und Bund setzen sich durch, die aus dem Forum Bauland machen wollen. Dann wird Axel Guttmann es doch bereuen, keine Viertelmillion für ein wertvolles Sperrgrundstück riskiert zu haben. Eva Schweitzer