piwik no script img

21 Monate für fahrlässige Tötung

■ Portugiesischer LKW-Fahrer muß in Haft, weil er fünf Menschen totgefahren hat

Der schwerste Unfall der Bremer Nachkriegsgeschichte hat gestern sein juristisches Nachspiel vor dem Amtsgericht in Bremen gehabt. Der 33jährige Portugiese Armando O. wurde der fahrlässigen Tötung von fünf Menschen für schuldig befunden und zu 21 Monaten Haft verurteilt. Außerdem entzog ihm das Gericht für 14 Monate den Führerschein

Die Autobahn 1 war trocken an diesem Nachmittag des 13. November 1991, die Sicht gut, ein Auffahrunfall hatte hinter der Weserbrücke in Fahrtrichtung Hamburg für einen Rückstau gesorgt. Die Autos fahren langsam an den Stau heran, Warnblinkanlagen werden frühzeitig eingeschaltet: Daran erinnerten sich die Zeugen gestern im Prozeß genau. Nur auf der mittleren Spur rast ein LKW mit „mindestens 91 km/h“, so rechnete der Sachverständige später aus, auf die Autoschlange zu: Es ist ein Volvo F12, 18 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht mit Anhänger (30t). Tempo 80 ist erlaubt.

Dann geht alles blitzschnell. Ob der kleine Nissan- Bus gestanden oder langsam gefahren ist, war gestern nicht mehr zu rekonstruieren: Jedenfalls knallt der Volvo auf den Kleinbus, in dem fünf Männer auf ihrem Weg von der Arbeit nach Hause fahren wollen. Der LKW erfaßt das Heck des Autos und begräbt es unter sich, schleudert ein weiteres Auto aus der Bahn und wuchtet mit seinen 524 PS den Kleinbus weiter gegen das nächste Fahrzeug. Es ist ein Militärlastwagen der britischen Armee. „Wir haben Blutspuren bis unter der Wagenmitte gefunden“, erklärte der Staatsanwalt Karl-Heinz Marten. Spätestens bei diesem Zusammenstoß sind die fünf Männer im Kleinbus tot, „das Auto so zusammengedrückt, als käme es aus der Schrottpresse“ (Marten). Und der Volvo rutscht weiter in den nächsten LKW, bevor er dann endlich zum Stehen kommt: Eine riesige Feuerfontäne, so beschreibt es später ein Zeuge, sei dann aus dem Führerhaus aufgestiegen.

Armando O., der Fahrer des Volvos, hatte sich mit einem Sprung aus dem Führerhaus vor den Flammen gerettet. Von einem Stau habe er nichts gesehen, erzählte er gestern vor Gericht. Der Kleinbus habe ihn überholt, eingeschert und dann stark abgebremst. Als er die Bremse habe betätigen wollen, habe sich das Pedal schon vom Aufprall auf den Bus verbogen und sein Bein irgendwie festgeklemmt. Alles, was er noch habe tun können, war, den LKW in der Spur zu halten.

Warum hat Armando O. nicht gebremst? Sein Verkehrssündenregister ist sauber, die Pausen auf der Fahrt von Porto nach Oslo seien ausreichend gewesen, von Übermüdung könne keine Rede gewesen sein, versicherte der Portugiese. „Entweder hat er geschlafen oder er hatte einen Blackout“, vermutete der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Für ihn steht fest, „daß der Angeklagte den Unfall und damit den Tod von fünf Menschen verursacht hat“. Marten fordert zwei Jahre Haft.

Verteidiger Reinicke sieht das anders: O. habe sich zwar Fahrlässigkeit zu schulden kommen lassen, könne aber für die schrecklichen Folgen nur „mittelbar“ verantwortlich gemacht werden, weil er beim Versuch, den LKW abzubremsen, zwischen Sitz und Bremspedal eingeklemmt worden sei und so zur Tatenlosigkeit verurteilt war. „Was wir hier im Sinne der Sraßenverkehrsordnung verhandeln, ist also eigentlich nichts anderes als ein bißchen Geschwindigkeitsübertretung, ein bißchen Unaufmerksamkeit und ein bißchen Abstände unterschätzt.“ Er will ein Jahr auf Bewährung herausschlagen.

Richter de Wyl kann dieser Interpretation nicht ganz folgen. O. habe sich der Fahrlässigkeit strafbar gemacht. Er sei ohne Bremsreaktion mit überhöhter Geschwindigkeit in den Stau hineingefahren und trage deshalb die Verantwortung für den tragischen Unfall. Bewährung komme wegen der schweren Folgen nicht in Frage, urteilte der Richter. Markus Daschner

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen