Leben, feiern und arbeiten in der Oranienburger Straße

KLEINER ORT DERU N O R D N U N G Leben, feiern und arbeiten

in der Oranienburger Straße

Gregor Hiltner, 42, Maler

Ich komme gerne in die Oranienburger Straße, weil hier soviel in Bewegung ist. Kreuzberg ist ganz schön teuer geworden, man hat da diese alternative Unfreundlichkeit und dazu noch Schweinepreise. Die Leute hier kommen meistens aus dem Westen. Das liegt daran, daß in der westlichen Welt alles so unheimlich geordnet ist, und hier ist ein kleiner Ort der Unordnung mitten in einem System, wo sonst alles wie ein Uhrwerk funktionieren muß. In ein paar Jahren wird es diese Szene schon nicht mehr geben, ich bin sicher, daß sie nur geduldet wird, weil die Stadt zu viele andere Probleme hat.

Zur Zeit stehe ich fast jeden Abend hier in der Nähe der Synagoge. Es gibt hier viele progressive, aber auch aggressive Leute. Manche gehen direkt auf jede Uniform los, dann muß man richtig reagieren, also ruhig mit den Leuten reden. Vor der Wende war es in der Oranienburger lange nicht so lebhaft, jetzt ist ja mehr los als auf dem Ku'damm. Das liegt sicher auch an den Prostituierten und den Kraftfahrern, die langsam durchfahren und sie sich angucken. In die Kneipen hier gehe ich überhaupt nicht, ich suche eher die ruhigeren in den Nebenstraßen, wo ich in Ruhe mein Bier trinken kann.

Meine Werkstatt habe ich hier seit einem halben Jahr. Wir arbeiten meistens bis 22 Uhr und kriegen natürlich alles mit. Abends ist es hier schwieriger, aus der Parklücke herauszufahren, als tagsüber. Die ganzen Künstler-Gaststätten kenne ich schlecht, das ist nicht mein Milieu. Ich war zwar auch schon da, aber ich habe mich da nicht wohl gefühlt. Übrigens ist die Gegend hier sehr sicher, weil wegen der Zuhälter soviel Polizei hier herumfährt. Den Straßenstrich gab's übrigens auch schon zu DDR-Zeiten, aber natürlich viel versteckter, da standen sie in den Hauseingängen.

Der Osten ist generell viel spannender als der Westen. Morgens guckt man hier aus dem Fenster und sieht, daß wieder ein neuer Laden aufgemacht hat. Leider gibt es ziemlich viele Auflagen, so daß viele Kneipen gleich wieder schließen müssen. Im Moment gibt es in der Oranienburger Straße zwar wahnsinnig viele Touristen, aber die Szene kommt trotzdem noch hierher. Am liebsten gehe ich ins Tacheles — da ist am meisten los. Ich komme zwar aus Westdeutschland, bin aber schon vor einem Jahr in den Berliner Osten gezogen und kenne mich da auch viel besser aus als im Westteil.

Ich bin zuerst vor einem Jahr in die »Assel« gekommen, da hat es mir gleich so gut gefallen, daß ich hier arbeiten wollte. Das war die erste Kneipe nach dem »Tacheles«, die in der Oranienburger Straße eröffnet hat. Bei uns gibt es viele Studenten, im Moment auch viele Touristen, eigentlich keine Leute aus der Szene. Im Vergleich zu den anderen Kneipen hier sind wir etwas gedämpfter, ein bißchen konservativer. Früher kamen mehr Leute aus dem Osten in diese Gegend, heute sind es schon mehr Westler. Die finden das schick, Kneipen im Osten zu kennen. Umfrage: Miriam Hoffmeyer

Fotos: Mike Hughes/Sequenz