KOMMENTARE
: Im Zweifel für den Atomstaat

■ SPD-Umweltminister Schäfer genehmigt Schrottmeiler Obrigheim

Irgendwie enttäuschend ist es schon. Im Zweifel stellen sich maßgebliche SPD-Politiker immer vor die Atomwirtschaft. Letztes Beispiel: Baden-Württembergs Umweltminister Harald B. Schäfer. Der hatte als Bundestagsabgeordneter jahrelang in Bonn das ökologische Fähnchen hochgehalten und den Ausstiegsbeschluß der SPD auch innerparteilich verteidigt. Innerhalb von 10 Jahren wollten die Sozialdemokraten der Atomkraft ade sagen, man erinnere sich. Dann wurde die Fraktionsführung gestrafft, für die Umweltpolitik der Sozialpolitiker Dressler zuständig, und Schäfer nahm die Gelegenheit wahr, in Stuttgart Umweltminister der großen Koalition zu werden.

In diesem Amt erbte Brillenträger Schäfer das einzige bundesdeutsche Atomkraftwerk mit rotem Nummernschild. Das AKW Obrigheim, ein Reaktor-Dinosaurier, der in Sicherheitsfragen den Vergleich mit stillgelegten Ostreaktoren nicht zu scheuen braucht. Seit 24 Jahren lief der Meiler und hatte immer noch keine abschließende Genehmigung — bis gestern. Wer sein Auto nicht durch den TÜV bringt und ähnlich lange warten würde mit dem Wiedervorführen, hätte Probleme.

Ein klassischer Fall für den Ausstieg nach Recht und Gesetz, möchte man meinen. Diese Variante sozialdemokratischer Atompolitik wird immer dann vorgeführt, wenn Kritiker Zweifel am Ausstiegswillen der Genossen anmelden. Auch Harald Schäfer schien auf diesem Kurs zu sein. Vor Wochen noch beschied er jedem, der es hören wollte, ohne zwei Gutachten, davon eines von Reaktorkritikern, werde er keine Genehmigung erteilen. Mit ihm werde es „keinen Sicherheitsrabatt geben“.

Dann muß irgendwas passiert sein. Freundlich gesonnene Zeitgenossen könnten annehmen, die hohen Ozonwerte im Südwesten seien dem Minister nicht bekommen und er könne nicht mehr bis zwei zählen — das zweite kritische Gutachten fehlt noch. Weniger freundliche sehen die Diskrepanz zwischen Schäfers damaligen Ankündigungen und heutigen Taten als Essenz sozialdemokratischer Atompolitik. Die Gesundheit und Sicherheit der Menschen im Ländle steht hinter dem Machtkalkül zurück. Vor zwei Jahren gab es einen ähnlichen Fall in Berlin. Der rot-grüne Senat hatte den neuen Reaktor des Hahn-Meitner-Instituts gestoppt. Die nachfolgende schwarz-rote Koalition ließ ihn in Betrieb gehen. Die Lehre ist eindeutig: In der Atompolitik sind Sozialdemokraten allemal unzuverlässige Gesellen. Hermann-Josef Tenhagen