Illegaler Schrottreaktor wird legal

Atomkritische Gutachter sollen ältesten BRD-Reaktor prüfen/ SPD-Umweltminister Schäfer erteilt Betriebsgenehmigung für AKW Obrigheim/ Minister will Atomrecht über Bundesrat ändern  ■ Aus Stuttgart Gerd Alt

Das heftig umstrittene 350-Megawatt-Atomkraftwerk Obrigheim bekommt 24 Jahre nach dem ersten Anfahren von der baden-württembergischen CDU/SPD-Landesregierung die Dauerbetriebsgenehmigung. Südwest-Umweltminister Harald B. Schäfer (SPD) will die Erlaubnis aber lediglich als „Genehmigung mit Hypothek“ verstanden wissen. Auf Basis des gegenwärtigen Atomrechts, so der Minister am Freitag vor der Presse in Stuttgart, sei ihm keine andere rechtliche Möglichkeit geblieben. Ein rechtlich unpräziser „Widerrufsvorbehalt“ der Dauergenehmigung, 25 zusätzliche Auflagen für den Weiterbetrieb und — erstmals in einem solchen Fall in der BRD — ein alternatives Begleitgutachten atomkritischer Wissenschaftler sollen den Obrigheim-Betreibern nach Schäfers Willen „Sicherheitsdaumenschrauben“ anlegen. Einen Teil der alternativen Gutachten soll laut Schäfer das Öko-Institut Darmstadt erstellen. Als Umweltminister hat Schäfer die Aufsicht über die Reaktoren im Südwesten. Die endgültige Genehmigung, die nach Schäfers gestriger Stellungnahme nur noch eine Formsache ist, muß das Wirtschaftsministerium des Landes erteilen. An dessen Spitze amtiert der Vize-Ministerpräsident der großen Koalition, Dieter Spöri (SPD).

Die Grünen haben bereits angekündigt, gegen die Dauerbetriebsgenehmigung zu klagen, außerdem laufen am Bundesverfassungsgericht weitere Klagen mit dem Ziel der Stillegung.

Der von den Grünen als „Schrottreaktor“ gewertete Obrigheimer Meiler steht im Südwesten seit langem in der Kritik. Die einstige Oppositionspartei SPD hatte ebenfalls seit Jahren die Stillegung verlangt. Schäfer, bis vor wenigen Wochen umweltpolitischer Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion in Bonn und dort einer der Protagonisten des SPD- Ausstiegskurses, beteuerte, seine Ablehnung der Atomenergie sei „hinlänglich bekannt“. Mit Übernahme des Amtes des Umweltministers in der großen Koalition in Stuttgart habe sich daran auch nichts geändert.

Der Minister räumte zudem ein, der nicht erdbebensicher gebaute, gegen Flugzeugsabstürze nicht ausreichend sichere Reaktorbehälter sowie die gealterte Technik seien heute als Neubau nicht mehr genehmigungsfähig. Laut Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom vergangenen Jahr sei ihm aber die Anlegung des Maßstabs für Neugenehmigungen „aus der Hand geschlagen“. Damals hatte das oberste Verwaltungsgericht in einer umstrittenen Entscheidung die Wiederinbetriebname des nach einem Gerichtsbescheid mehr als ein Jahr lang stillgelegten Atomkraftwerks verfügt. Gleichzeitig wurde eine Dauerbetriebsgenehmigung verlangt.

Schäfer betonte weiter, das Atomgesetz mit seiner „falschen Zielrichtung“ sei in Bonn und nicht in den Landeshauptstädten gemacht worden. Es sei rechtsstaatlich zustande gekommen und müsse ebenso wieder zu Fall gebracht werden. Er wolle sich dafür einsetzen, das „nicht mehr zeitgemäße“ Gesetz mit seiner ausgeprägten Privilegierung der Atomindustrie über den Bundesrat zu Fall zu bringen. Vorrangiges Ziel sei, das im Atomgesetz ausdrücklich formulierte Verbot der Befristung von Reaktorgenehmigungen aufzuheben. Zudem solle die Möglichkeit von Regreßforderungen von Atomkraftwerksbetreibern im Fall von Stillegungsverfügungen eingeschränkt werden. Genau das Gegenteil plant derzeit Bundesreaktorminister Klaus Töpfer, der noch in diesem Jahr seine lange angekündigte Atomgesetz-Novelle in den Bundestag einbringen will. Darin sollen „nachträgliche Auflagen“ zur Erhöhung der Sicherheit an strenge Bedingungen geknüpft werden. Stillegungsverfügungen sollen nur mehr möglich sein, wenn der Weiterbetrieb eine direkte Gefährdung darstellt.

Eitel Freude herrschte gestern in den Reihen der Obrigheim-Betreiber. Der Verwaltungsratschef des Reaktorunternehmens KWO meinte, die Entscheidung pro Obrigheim bedeute eine „Stärkung des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg“.

Die verlangten Auflagen seien technisch und inhaltlich erfüllbar, sagte der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Karl Stäbler, in Stuttgart. Mit der Erteilung der Dauergenehmigung könne ein neues Betriebsreglement eingeführt werden.