VOM KREATIVEN UMGANG MIT DEN STEUERGESETZEN Von Ralf Sotscheck

Eine Kneipenlizenz in Dublin ist so gut wie eine Lizenz zum Gelddrucken. 93 Prozent der 750 Kneipen in der irischen Hauptstadt machen einen Jahresumsatz von umgerechnet mindestens 300.000 Mark, 20 Prozent sogar von mehr als 1,8 Millionen. Obwohl die Schnaps- und Bierpreise seit 1985 um mehr als das Fünffache der Inflationsrate gestiegen sind, ist der Verbrauch pro irischer Kehle ebenso stetig nach oben gegangen. In Irlands Kneipen werden inzwischen 8,5 Prozent des Bruttosozialprodukts geschaffen.

Trotz der nach Großbritannien höchsten Alkoholsteuer in der Europäischen Gemeinschaft hielt sich der Steuersegen jedoch in Grenzen. Das machte die Finanzbeamten stutzig. Nun sind Irlands Kneipiers für ihren kreativen Umgang mit den Steuergesetzen bekannt, seit 1988 ein Gesetz in Kraft trat, wonach Selbständige ihre Steuern selbst berechnen dürfen. Das Finanzministerium, das mit diesem Handstreich Tausende von Böcken zu Gärtnern gemacht hatte, ernannte deshalb Ende vergangenen Jahres den Steuerinspektor Tony McCarthy zum Chef eines Greifkommandos. Dieser sieht sich offenbar als James Bond im Flaschenformat: „Meine Aufgabe ist es, Strategien zu entwickeln, geheimdienstliche Informationen zu sammeln und bestimmte Operationen kennenzulernen“, frohlockte McCarthy.

Er schätzt, daß die Kneipenbesitzer seit 1988 mindestens 300 Millionen Mark an Steuern hinterzogen haben — meist auf wenig phantasievolle Art. Ein Wirt in Nordwestirland, zu dessen Stammkunden unglücklicherweise der lokale Finanzbeamte zählte, schenkte jahrelang Wodka aus 40-Unzen-Flaschen aus. Bei Prüfung seiner Unterlagen stellte sich zur Freude McCarthys heraus, daß diese Flaschengröße dort gar nicht auftauchte. So heftete sich das Greifkommando an die gastwirtlichen Fersen — mit Erfolg: Der Observierte fuhr jeden Tag seine Tochter zur Schule nach Nordirland und kaufte bei dieser Gelegenheit regelmäßig eine Flasche Wodka ein.

Viele seiner Kollegen machten sich bisher erst gar nicht die Mühe zu schmuggeln, sondern kauften die Getränke beim nächsten Großhändler, zahlten bar und hüteten sich, den Einkauf durch die Bücher laufen zu lassen. Dem hat McCarthy inzwischen einen Riegel vorgeschoben: Seit Juli müssen die Großhändler Namen und Adressen ihrer Kunden notieren. Die Steuersünder haben bis Oktober Zeit, ihre Gewissen freiwillig zu erleichtern. Zur Belohnung gehen sie straffrei aus. Viele haben dieses Angebot bereits angenommen — allerdings auf verblüffende Art: „Wir bekommen häufig braune Umschläge mit Geldbündeln — und sonst nichts“, erzählt Sean vom Finanzamt. „Dabei geht es manchmal um Summen bis zu 20.000 Mark.“ Die anonymen Einzahler wollen dadurch in den Genuß der Amnestie kommen, ohne die Aufmerksamkeit des Finanzamts auf sich zu lenken. Sollten sie später dennoch geschnappt werden, können sie anhand der Seriennummern zumindest bis 1992 ihre Unschuld nachweisen.

McCarthy hat in einem Brief an sämtliche Kneipiers der Insel angekündigt, daß er nach Ablauf der Frist keine Gnade mehr kenne. Das hat seine Popularität nicht gerade gesteigert. Als er vor kurzem bei der Gastwirtskonferenz in Ballyhaunis die versammelten Steuerhinterzieher fragte, was sie von seinem Brief hielten, fiel plötzlich der Strom aus. Im Schutz der Dunkelheit brüllte ein Gastwirt aus den hinteren Reihen: „Da hast du deine Antwort.“