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Breker Park

Arno Breker, dem prominentesten Bildhauer des Dritten Reichs, ist im „Museum Europäische Kunst Schloß Nörvenich“ eine ebenso repräsentative wie obskure Ausstellung gewidmet  ■ Von Jochen Becker

Wir sind keine Nazis“, sagt Herr Bodenstein („der Manager“, wie die Aufsicht ihn nennt) und setzt sich hinter den Büchertisch. Eigentlich will er mit „der Presse“ nichts zu tun haben. Doch dann bittet der — ehrenamtliche — Chef des „Museum Europäische Kunst“ ebenfalls Platz zu nehmen. „Die taz wird ja auch immer konservativer“, meint Bodenstein, während er die Karten für seine Ausstellung verkauft. Besonders gern lese er die „Gurke des Tages“. Ansonsten ist er weniger auskunftsfreudig und kokettiert mit dem Image des gebrannten Kindes. Auf eine klärende Pressemitteilung habe er deshalb lieber verzichtet, und Fotografieren sei natürlich nicht erlaubt — was aber offensichtlich nicht für die übrigen Besucher gilt. „Ihr“ — damit meint er wohl das Kollektiv der Weltpresse — „kommt ja auch nur zum Breker“, dabei hätte man auch schon „ganz gute Barlach- und Chagall- Ausstellungen“ gemacht. Na ja, die jetzige Schau sei ja schon etwas Besonderes. Ob er das historisch meint oder doch nur wegen ihres Seltenheitswertes — Breker wird von offiziellen Kunstinstituten weitgehend geächtet —, läßt er offen.

Das Dorf Nörvenich, zwischen Köln und Düren gelegen, setzt sich aus Gehöften, einer wuchernden Neubausiedlung samt Mini-Fußgängerzone, einem nahegelegenen Fliegerhorst und eben dem Schloß zusammen. Die kommunale Grünfläche ist zugleich Spielplatz und Gedenkstätte für die Toten der beiden Weltkriege; „in ehrendem Gedenken“ legen die Sankt-Sebastianus- Schützen einen frischen Kranz dazu. Vor der in roten Stein geschlagenen, stilisierten Flamme erinnert eine kleine Metallplatte an die 1942 aus Nörvenich deportierten Juden. Ein tappsiges Füllen und eine über ihren Küken gluckende Henne stehen in Metall gegossen auf der Wiese. „Bürger, schützt Eure Anlage“, ermahnt ein Hinweisschild; das Lokalblatt wirbt hier noch mit dem Untertitel „Heimatzeitung“.

Nörvenichs beschauliche Grünanlage geht fast nahtlos in den ebenfalls gemeindeeigenen Schloßpark über. Die ehemalige Wehranlage schließt sich ringartig um das im 16.Jahrhundert erbaute Anwesen. Im Rondell der Einfahrt steht ein athletischer Fackelträger, rechts wehen die deutsche, europäische und amerikanische Flagge. Im ehemaligen Burggraben des Schlosses sind weitere Breker-Bronzen verteilt: Männer in heroischer Pose, Adenauers überlebensgroßer Kopf, ein brüllender Löwe. An der Schloßmauer Richtung Durchgangsstraße prangt das monumentale Wandrelief „Kameraden“: Ein muskulöser Mann — vom Faltenwurf des Tuchs bis zum Lockenkopf in antiker Pose — hält einen in sich gesackten Nackten in den Armen. Nahe der Gedenkstätte für 30 namentlich aufgezählte Wehrmachtsoldaten, aber ungenannt bleibenden Juden und in unmittelbarer Nachbarschaft zu possierlichen Tierfiguren im Zuge der kommunalen Parkmöblierung stehen an exponierter Stelle die Arbeiten von Hitlers „Hofbildhauer“.

„Vielleicht stelle ich das nächste Mal Chagall und Breker zusammen aus“, erzählt der Schloßherr. „Damit die nachwachsende Jugend sieht, daß beide große Künstler sind“ und diese ganz unvoreingenommen auf sich wirken lasse. Arno Breker, ein Künstler wie jeder andere? Bodensteins zur Schau getragene Naivität zeugt keineswegs vom Irrtum eines wirren Hobby-Kunsthistorikers (und selbst da wäre das Fehlen einer historisch-kritischen Begleitung der Breker-Schau kaum zu entschuldigen). Im offiziös auftretenden „Museum Europäische Kunst Schloß Nörvenich“ werden Zweifel am reinen Kunstcharakter der Werke gezielt zerstreut. So unterdrückt die Museumsleitung mittels programmatisch fehlender Hinweistafeln oder biografischer Daten und durchgängiger Auslassung von Bildtiteln oder Jahreszahlen die Erinnerung an die Nazizeit oder möglicherweise verfängliche Sujets.

Eine Art Tarnfirma

Das Privatmuseum und der ihm angeschlossene gemeinnützige Förderverein kümmern sich vorrangig um das Werk der „Künstlerfreunde Arno Breker, Salvatore Dali, Ernst Fuchs“ und deren „Umfeld“, welches von Cocteau bis Barlach reicht. Die gezielt ahistorische, aufs Biographische oder oberflächlich Ästhetische ausweichende Vermischung von konservativen bis reaktionären Künstlern zündet durch Mangel- oder Desinformation Nebelgranaten, in der Brekers Lebensgeschichte abtauchen kann. Beinahe nahtlos gehen die zeitgleich anberaumten Ausstellungen von Arno Breker und Salvatore Dali auf zwei sorgsam restaurierten Schloßetagen ineinander über. Hier wird der ansonsten weitgehend geächtete Bildhauer durch festliches Gebäude, an die Seite gestellte Renommee-Künstler und hindurchschreitenden Bundespräsidenten — eine ebenfalls ausgestellte Foto-Urkunde zeugt von Richard von Weizsäckers Besuch — nobilitiert.

Der scheinbar uneigennützige Museumsbetrieb stellt sich bei näherem Hinsehen als eine Art Tarnfirma heraus: 1980 erwarb die Familie Bodenstein die vom Verfall bedrohte „Gymnicher Burg“ und taufte das Anwesen in „Schloß Nörvenich“ um. Josef Franz Bodenstein, Bonner Mitarbeiter einer Nachrichtenagentur, errichtete Anfang der achtziger Jahre im alten Gemäuer sein Privatmuseum. Der nebenberufliche Kunsthändler, regelmäßig und erfolgreich auf der Kölner Kunst- und Antiquitätenmesse vertreten, hat sich im Laufe der Jahrzehnte das vermutlich größte Konvolut der noch existierenden Breker-Arbeiten sichern können. Da ein Großteil des Werks von den Alliierten zerstört wurde, handelt Bodenstein mit Abgüssen der Reste. So steht im Hof der Düsseldorfer Kunstgießerei Schmäke ein weiteres „Kameraden“-Wandrelief auf Halde. Das sogenannte „Museum Europäische Kunst“ fungiert dabei als Werbeträger und besorgt die künstlerische Aufwertung. Weiterhin werden im Schloß neben Büchern und Postkarten auch Grafikeditionen vertrieben. „Selbst die Bundeskunsthalle hat einen Museums-Shop“, begründet der Wochenend-Kartenabreißer Bodenstein sein Merchandising von Breker, Dali und Chagall.

Das Telefonbuch verzeichnet unter der Eintragung „Schloß Nörvenich“ neben dem Museum noch eine Künstlergenossenschaft, einen NRW-Kunstkreis zur Förderung lokaler Künstler, ein Kunstmagazin und den PPS Promotion Presse Service. Auf den Klingelschildern stehen die Namen von Marco und John G. Bodenstein nebst Anhang. Die beiden Adoptivsöhne von Josef F. Bodenstein arbeiten — der eine offizieller Museumsleiter, der andere Chef der Bonner „MARCO Galerie“, die neben Postkarten auch Bücher im Umfeld der „Künstler im Goldenen Dreieck“ verlegt — eng mit ihrem Vater zusammen. Diese Druckwerke liegen auf Bodensteins Büchertisch zum Verkauf aus: Arno Brekers Schriften in deutsch und englisch, Biographien über ihn und zahlreiche Andenkenkarten mit Reproduktionen der im Familienunternehmen vertretenen Künstler.

Im Postkartenständer findet sich neben all den muskulösen Männern und tapfer blickenden Frauen die Farbreproduktion eines äußerst merkwürdigen Gemäldes von Pierre Peyrolle; das Original hatte ich schon durch die Glastür eines verschlossenen Nebenzimmers erspäht. Im Bildhintergrund erkennt man die Kuppeldecke des Petersdoms, die Albert Speer als Vorbild für die 17fach größer geplante Berliner „Große Halle“ diente. Die kreisförmige Öffnung im Dach bildet bei Peyrolle zugleich den Heiligenkranz für eine speerbewaffnete Breker- Skulptur samt Adler. Dazwischen sitzen, wie bei Leonardos letztem Abendmahl, an einer tuchbedeckten Tafel sechs Männer: zur rechten Breker, Dali und Fuchs und zur linken Alexander de Villiers, Roger Peyrefitte (schrieb einen Roman über Freimaurer) und — Joe F. Bodenstein: Der Chef des Hauses reiht sich ein in den Kreis der Gleichgesinnten. „Le Festin d'Alexandre“ lautet der Titel des schwülstig-eklektizistischen Bildes, welches die Gründung des „Alexander-Ordens“ festhält. Diesen hatten die Abgebildeten (mit Ausnahme Dalis, der vorher verstarb) zu Brekers 90.Geburtstag vor einem Jahr aus der Taufe gehoben — erklärte mir der Hamburger Filmemacher Lutz Dammbeck, der im Herbst einen Film über Breker fertigstellen wird.

Eine Kundry der Tafelrunde

Nun wird die ganze Angelegenheit vollends obskur. Außerdem soll, laut Dammbeck, die engagierte Reformtheologin Uta Ranke-Heinemann dabei so eine Art Kundry der Tafelrunde abgegeben haben. „Irgendwas haben wir gemacht — was, kann ich nicht sagen — muß ich das sagen?“, meint sie dazu am Telefon. Seit einer „Kulturreport“-Sendung über die Ausstellung in Nörvenich (keine Dreherlaubnis auf dem Gelände!) liegt die Professorin mit dem Bayerischen Rundfunk im Clinch, weil diese „Fälscherwerkstatt“ (Ranke- Heinemann) in manipulativer Art ein Interview mit ihr mißbraucht habe: „Ich wehre mich gegen diese Goebbels-Methoden. Die Tatsache, daß Hitler die Werke gefielen, sagt nichts über die persönliche Integrität Brekers und über den künstlerischen Wert seiner Arbeiten aus“, zitiert dpa die Theologin. „Arno Breker hat sich in einer unmenschlichen Zeit menschlich erwiesen“ und habe nicht nur befreundeten Juden geholfen, sondern als einziger den Verleger Peter Suhrkamp in dessen Todeszelle besucht.

Im selben Fernsehinterview äußerte Frau Ranke-Heinemann, man solle „Kunst Kunst sein lassen“ und daß ihr „auch seine Monumentalwerke“ gefallen. Die redefreudige Theologin springt Breker zur Seite, „weil er sich nicht ausdrücken konnte“ und spricht dabei von Solidarität. Im Unterschied zum wortgewandteren Nazi-Architekten Albert Speer, der sich nachträglich weitestgehend rehabilitieren konnte, sei Breker ein Mann der Hand und nicht des Mundes gewesen. „Ich nehme auch die Katrin Krabbe und den Honecker in Schutz — ich wäre der ideale Strafverteidiger.“ Die Ausstellung in Nörvenich kenne sie nicht.

Jahrzehntelang geächtet, ist es nunmehr fraglos möglich, Arno Brekers Arbeiten in aller Öffentlichkeit zu huldigen: „Das Museum Europäische Kunst hat diese Berührungsängste überwunden und würdigt Breker als den bedeutendsten Bildhauer der klassischen Tradition dieses Jahrhunderts“, zitiert dpa die Nörvenicher Veranstalter. Ein Aushang im Museum bezeichnet Breker als den „bedeutendsten Bildhauer der klassischen Tradition im XX.Jahrhundert“. Ganz gleich, ob der jüngst Verstorbene Breker einst Picasso vor der Verhaftung bewahrte — so Brekers Darstellung — und auch sonst vielleicht ein guter Mensch war, wie Frau Ranke-Heinemann versichert: Arno Breker, Albert Speer oder Leni Riefenstahl prägten entscheidend das Bild vom Nationalsozialismus und haben durch ihre Arbeiten das Regime getragen. Der Frankreichliebhaber Breker führte — in Uniform — Hitler durch's frisch okkupierte Paris; auch nach der Befreiung ist weder ästhetisch noch in seinen Äußerungen eine Distanz zu seiner Vergangenheit als Vorsitzender der Reichskunstkammer spürbar.

Breker schwärmte vom „Pariser Klima“ vor 1933, von der Internationalität, Toleranz und Freiheit, „was für die Entwicklung der Kunst von essentieller Bedeutung ist“. Genau dies wurde durch die deutschen Uniformierten ausgeschaltet. Breker geht in seiner Identifikation mit der Wehrmacht so weit, daß er den französischen Widerstand — „jene scheußlichen Morde aus dem Hinterhalt“ — denunziert. Verständnislos äußert Breker 1981 zu „Berliner Szenen“ (sprich: Protest) anläßlich seiner Galeriepräsentation: „Wenn ich etwas verherrliche, dann ist es die Schönheit“, und beruft sich dabei auf die Freiheit der Kunst, welche allerdings während der nazistischen Ausmerzung des Unschönen keine Gültigkeit hatte.

Allgemeine Rehabilitierung

Die Ausstellung in Nörvenich scheint mit ihrer Geschichtsklitterung zweierlei erreichen zu wollen. Zum einen möchte man den alten Breker-Anhängern und Neo-Reaktionären ein durch Kunst geadeltes Forum schaffen: So mancher eigens für diese Ausstellung Angereister deckt sich in Nörvenich mit Broschüren und Andenken ein. Zum anderen denkt man nach vorn: „Die Jugend“ soll einmal ganz unvoreingenommen den Künstler Breker bestaunen. Schließlich sind sie es, die auch in Zukunft für den Absatz aus dem Bodensteinschen Familienunternehmen sorgen könnten.

Der auf Dauer angelegte Breker- Park Nörvenich ist — trotz seiner besonderen Stoßrichtung — kein Einzelfall: Auch in den Grünanlagen der Düsseldorfer Museen am Ehrenhof, in vielen (halb)öffentlichen Werksanlagen oder an der Mauer des stadtteilartigen Kölner Gerling-Komplexes trifft man auf seine Arbeiten. Wenige stören sich an den Arbeiten eines Plastikers, dessen maßgebliche Werkperiode mit dem Dritten Reich nicht nur zufällig zusammenfällt. Nach eigenen Angaben festigte sich Brekers alle Unebenheiten glättende Technik endgültig während der Arbeiten an den Großplastiken für Speers „Neugestaltung Berlins“ zur Olympiade 1936. Breker drängte geradezu in den städtischen Raum: „Der tätige Arbeiter, der Träger der wirtschaftlichen Basis (...), ging nicht in die Museen.“ Das Volk sollte sein Werk direkt verstehen. „Ich war der Meinung, die Plastik gehöre auf die Straße.“

Parallel zum Wandel im Sprachgebrauch von „Bundesrepublik“ zu „Deutschland“ — sprich Abschied vom Föderalismus und hin zum Nationalstaat — vollzieht sich zur Zeit in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen eine mentale Desensibilisierung. Durch stufenweise gesteigerte Etablierung der Arbeiten finden Breker und sein anachronistischer, strikt gegenständlich-idealisierender Kunstbegriff Rehabilitierung: „Keine dekadenten Einflüsse haben mich bewogen, das Menschenbild zu modifizieren, zu verfälschen oder gar zu zerstören“, kommentiert Breker 1978 die ihm völlig fremde, ja „undemokratische“ Moderne. Inzwischen wird ein Lanzer fresko im Führerbunker als denkmalswürdig eingestuft und findet möglicherweise Aufnahme im „Deutschen Historischen Museum“.

Die Ausstellung des bisher größten Breker-Konvoluts ist voraussichtlich noch bis Ende Oktober jeden Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 14 bis 19Uhr geöffnet. Der Park ist auch wochentags von 9 bis 17Uhr zugänglich. Die Breker-Zitate stammen aus den „Schriften“, für den Marco-(Bodenstein-)Verlag, herausgegeben von Volker G. Probst.

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