Busineß à la Thai im demokratischen Outfit

Am 13. September wird in Thailand ein neues Parlament gewählt/ Das Militär hat an Einfluß verloren/ Die blutigen Mai-Unruhen könnten dem von den Generälen gestürzten Ex-Premierminister Chatichai zu einem Comeback verhelfen  ■ Aus Chieng Mai Rudolph Ganz

Ende vergangenen Monats starb in einem Krankenhaus in Bangkok ein 14jähriger Junge — das vorerst letzte Opfer der Mai-Unruhen. Soldaten hatten ihm in den Hals geschossen, als er in den frühen Morgenstunden wie gewohnt seinen Karren zum Markt schob, ohne etwas von der Ausgangssperre zu ahnen, welche die Regierung verhängt hatte. Die offizielle Zahl der Todesopfer, welche die Niederschlagung der Demokratiebewegung gekostet hat, ist damit auf 44 gestiegen.

Tatsächlich dürfte sie weit höher liegen. Eine der beiden englischsprachigen Tageszeitungen des Landes veröffentlicht jeden Sonntag Listen von Personen, die seit dem 19. Mai vermißt werden; es sind noch immer mehr als 400. Drei Viertel von ihnen sind unter 30 Jahre alt, jeder vierte sogar unter 20. Während der für das Massaker verantwortliche General Suchinda nach seinem Rücktritt als Premierminister in der Versenkung verschwunden ist, sind die Militärbefehlshaber mit den blutigen Händen erst am 1. August von Premierminister Anand Panyarachun in einflußlose Ämter abgeschoben worden: Luftmarschall Kaset, Suchindas Nachfolger als Oberkommandierender der Streitkräfte, der noch vor kurzem sogar unverhohlen mit einem neuen Putsch drohte für den Fall, daß es zu „ungeordneten Verhältnissen“ komme; General Issarapong, Chef des Heeres, ein Schwager Suchindas; sowie Issarapongs Neffe, Kommandeur des für Bangkok zuständigen Armeekorps. Das Quartett ist ein schönes Beispiel für die in Südostasien vorherrschende Familien- und Cliquenwirtschaft in Staat und Gesellschaft.

Anands Interimsregierung hat sich mit der Absetzung Zeit gelassen, weil sie nicht den Anschein erwecken wollte, sie lasse sich unter Druck setzen. Vor allem scheute sie das Risiko einer neuen Machtprobe. Der Konflikt ist jedoch ausgeblieben, weil die Militärs für einen neuerlichen Putsch keinerlei Rückhalt mehr gefunden hätten. Der liberale Übergangspremierminister Anand — geachtet wie kaum ein anderer Politiker, obwohl er wie Suchinda ernannt worden ist, ohne Abgeordneter zu sein — hat es geschafft, dieses delikate Geschäft noch selbst vor den Neuwahlen abzuwickeln.

Immerhin haben die Mai-Unruhen eine gewisse Politisierung des öffentlichen Lebens bewirkt, ebenso eine sichtbare Scheidung der an sich nur als Wahlvereine fungierenden Parteien in prodemokratische und promilitärische. Die fünf Parteien, die General Suchindas Wahl betrieben hatten, sind nach den blutigen Ereignissen im Mai diskreditiert, die vier Oppositionsparteien haben hingegen Aufwind. Aber wie lange diese Stimmung anhält — und vor allem ob aus ihr ein besseres, ein nicht mehr nur von individuellen Geschäftsinteressen getriebenes Parlament hervorgehen wird — ist völlig offen. Denn das abgebrühte politische Establishment, dieser verhängnisvolle Verbund von Tycoons, Mafia-Paten, bestechlichen Abgeordneten, Militärkommandeuren und skrupellosen Geschäftsleuten, der in Thailand seit eh und je den Kern der Parlamente und Regierungen bildet, zeigt sich vier Wochen vor den Parlamentswahlen weiterhin völlig immun gegen die moralischen Ansprüche der Demokratiebewegung.

Die für die Wahlen im März als Armee-Marionette ins Leben gerufene Samakki-Tham-Partei, die im aufgelösten Parlament die größte Fraktion stellte, hat sich nach dem Fiasko blitzschnell umbenannt, um kurz darauf mit der ebenfalls zur Koalition gehörigen, aber in weiten Teilen des Landes traditionell verwurzelten Chart Thai, der Thailändischen Nationalpartei, vereinigt. Viele ihrer bisherigen Abgeordneten hoffen, unter diesem finanziell gutgepolsterten Dach mit Hilfe mächtiger Förderer, uniformierter wie ziviler, ihren Sitz und damit ihre Pfründe in die nächste Legislaturperiode zu retten.

Auch der vom Militär im Februar vergangenen Jahres unblutig gestürzte Premierminister Chatichai Chonhavan ist wieder aus der Versenkung aufgetaucht, obgleich ihm damals wegen der selbst für thailändische Maßstäbe exorbitanten Korruption seiner Regierung kaum jemand eine Träne nachgeweint hatte. Das Angebot der Nationalpartei, wieder Spitzenkandidat zu werden, hat er ausgeschlagen und statt dessen eine neue „Partei der nationalen Entwicklung“ gegründet, deren Sogkraft so groß ist, daß ehemalige Abgeordnete in Scharen zu ihr übergelaufen sind, sogar aus der bisherigen Opposition. Diese Sogkraft hat einen wohlbekannten Namen: Geld. Chatichais Leute kaufen munter Abgeordnete zusammen: sieben Millionen Bath (das sind 400.000 DM, nach hiesiger Kaufkraft aber weit mehr) blättern sie einem Kandidaten hin, der schon zweimal im Parlament gesessen hat; fünf Millionen für einen, der einmal in Wahlen Erfolg hatte, und drei Millionen für einen Kandidaten mit nachgewiesenen guten Aussichten. Chatichais Apparat verfügt auch über genügend Ressourcen für den notorischen Stimmenkauf. In einem Land, in dem Personen, nicht Parteien gewählt werden, zählen erfolgversprechende Kandidaten viel, Parteien wenig; letztere werden gewechselt wie Hemden.

Chatichai spekuliert darauf, daß er als früheres „Opfer“ der Militärs durch die Mai-Massaker nicht diskreditiert ist. Aber es gilt schon jetzt als ausgemacht, daß er mit seinen einstigen Gegnern die neue Regierung formieren will — um gemeinsam die politische Macht und damit das investierte Geld vervielfacht wiederzugewinnen. Die Zentralregion, der Norden und der Nordosten des Landes bilden das Reservoir, aus dem diese Kräfte ihre Stimmen bekommen, von der ungebildeten Landbevölkerung. Daß führende Leute beider Gruppierungen von einer Untersuchungskommission als „ungewöhnlich reich“ eingestuft worden sind, auf gut deutsch: als korrupt, auch Chatichai selbst, und daß deshalb ihr Vermögen, soweit greifbar, beschlagnahmt wurde, ist dabei kein Hindernis.

Die drei wichtigsten bisherigen Oppositionsparteien können dagegen in der Metropole Bangkok und im Süden des Landes mit Erfolgen rechnen. Aber es fehlt ihnen an Geld, um in das verfilzte System im übrigen Land in größerem Stil einzudringen. Chamlong Srimuang, der frühere, sehr erfolgreiche Gouverneur von Bangkok, populär als „Mister Clean“ wegen seiner Unbestechlichkeit, der sich im Mai an die Spitze der friedlichen Demonstranten gestellt und damit zum Abgang der Suchinda-Regierung maßgeblich beigetragen hat, wäre nach europäischen Vorstellungen der unbestrittene Oppositionsführer; er wurde mittlerweile mit dem international renommierten Magsaysay-Preis für sein demokratisches Engagement ausgezeichnet. Aber Chamlong hat durch sein außerparlamentarisches Engagement bei der bürgerlichen Mittelschicht eher an Ansehen verloren, ähnlich wie linksliberale Persönlichkeiten 1967 nach ihrer Teilnahme an Studentendemonstrationen in Deutschland. Ob seine Partei diesen Verlust durch Gewinne in den städtischen Wahlkreisen der Provinz wettmachen kann, wo das Bildungsniveau höher ist als auf dem flachen Land, ist eine der offenen Fragen bei der kommenden Wahl. Der bisherige Verlauf des Wahlkampfs läßt befürchten, die Parteien der bisherigen Opposition könnten sich nur gegenseitig Wähler abspenstig machen statt dem Establishment und damit die Wahlen erneut gegen die korrupten Cliquen und das mit ihnen offen oder versteckt verbundene Militär verlieren. Dann wäre das Opfer der Demonstranten für die Demokratie einmal mehr vergeblich gewesen.