Sartre im Stasi-Knast

■ »Tote ohne Begräbnis«: Ein Medienspektakel anläßlich einer Sartre-Inszenierung im Stasi-Knast Hohenschönhausen

Vor dem Ex-Stasi-Knast in Hohenschönhausen drängen sich an diesem Abend die Leute. Alle sind gekommen, um die in einer großangelegten Werbekampagne angekündigte Inszenierung von Sartres »Tote ohne Begräbnis« zu sehen. Wollen die Leute das Stück sehen, oder ist es »nur« der Spielort, der die Massen angezogen hat? Auch die Kollegen vom Hörfunk und Fernsehen sind da. Mit Kamera und Mikrophon belagern sie vor und nach der Vorstellung die Zuschauer und können es nicht erwarten, den wohligen Schauer, der sich hoffentlich auch auf den Gesichtern abzeichnet, professionell einzufangen.

Die Kartenabreißerin trägt eine Art Uniform; eine Kette mit Schlüssel baumelt vom Kopppelgürtel. Sie mustert mich mit durchdringendem Blick — befremdend und fast schon abstoßend. Bis ins Kleinste ist die Show inszeniert.

Mit den anderen gehe ich über den Hof, auch mein Blick hakt sich an den vergitterten Fenstern fest, deren Öffnungen mit Glasbausteinen zugemauert sind. Ich habe ein ungutes Gefühl, wie immer, wenn ich mich an Orten befinde, an denen Menschen gelitten haben, an denen sie der Willkür von anderen ausgeliefert waren. Fast unmutig reagiere ich auf die anderen Besucher, die links und rechts vo mir laut ihre Beobachtungen austauschen. Ich wäre ich hier am liebsten allein.

Im Zellentrakt, den man durchlaufen muß, um den Spielort zu erreichen, stehen die Türen zu den Zellen offen. Auf den paar Quadratmetern bleibt neben Betten, Tisch und Kloschüssel nur noch wenig Platz, sich zu bewegen. Am Ende des Ganges hört man aus einer Zelle Stimmen. Drinnen sitzen die Schauspieler und warten auf den Beginn der Vorstellung. Auf dem Tisch Gläser, Zigaretten, kleine Premierengeschenke. Kriegt auch eine Zelle in Hohenschönhausen früher oder später eine gewisse Normalität?

In DDR-Zeiten löste der Gedanke an dieses Stasi-Untersuchungsgefängnis Angst und Schrecken aus. Vielen war bewußt, daß man dorthin gebracht werden konnte, ohne wirklich schuldig zu sein. Wir wußten von unmenschlichen Verhörmethoden und, zumindest in den fünziger und sechziger Jahren, von Folterungen. Der Gedanke, an diesem Ort ein Stück von Sartre zu spielen, das Verhaltensweisen von Opfern und Tätern unter der Folter zum Thema hat, ist faszinierend. Man muß sich der Schwierigkeiten, die dieses Stück birgt, allerdings bewußt sein und darf nicht annehmen, daß der Spielort allein dafür ausreicht.

Sartre schrieb »Tote ohne Begräbnis« 1946. Fünf Resistance-Kämpfer sind in einer Schule eingesperrt. Sie wissen, daß man sie foltern wird; sie versuchen, sich gegenseitig ihre Angst zu nehmen und sich Mut zu machen. Einzeln werden sie zum Verhör geholt; während einer von ihnen gequält wird, warten die anderen voll Spannung und Schrecken darauf, was mit ihnen geschieht. Das Stück, unter dem Eindruck des Kampfes in der Illegalität geschrieben, wirkt heute sehr pathetisch. Die Figuren sprechen eine Sprache, deren Worte sich, bedenkt man historische Entwicklungen, abgenutzt haben. Man muß sich diesem Stück mit viel Behutsamkeit nähern. In der Inszenierung des Parnass-Theaters sind die Schauspieler vom Regisseur Rüdiger Meyke mit diesem Problem allein gelassen worden. Dem Pathos des Textes vollkommen ausgeliefert, sprechen sie ihre Rollen, ohne daß es eine Inszenierungsidee gäbe, an der sich die Darsteller orientieren könnten. So holpert das Stück dahin, und vergeblich sucht man nach Figurenentwicklungen und Brüchen, die sich über das Spiel der Darsteller herstellen. Einzige Ausnahme dabei ist Wilfried Loll in der Rolle des Partisanenführers Jean. Dieser Schauspieler hat sich seine Rolle ganz genau gebaut. Wenige Details verwendet er, zum Beispiel das Spiel mit seiner Baskenmütze, um den Zuschauern eine Figur nahezubringen, die Widersprüche in sich birgt und nicht immer nur tönt, wie seine Kollegen, die häufig schlecht zu verstehen sind, weil sie auch sprachlich den Text nicht meistern.

Gespielt wird im Freihof des Gefängnisses. An den Stirnseiten des von Mauern umgebenen Raumes, der von oben über Metallstege eingesehen werden kann, sind die zwei Spielorte, Zelle und Verhörraum, angeordnet.

Unverständlich, warum die Ausstatterin Beate Autering sich nicht einfach dieser kahlen Mauern bedient hat. In der Zelle, bei Sartre ein Dachboden, stehen große Blumentöpfe mit verdorrten Sträuchern; bei den Folterern sind die Mauern gar mit in Fetzen herunterhängenden Gummiplanen bespannt. Effekthascherei? Diese Sartre-Inszenierung wird aufgrund ihres spektakulären Aufführungsortes sicher ihre Zuschauer finden; leider wird sie diesem aber in keiner Weise gerecht. Sibylle Burkert

Weitere Vorstellungen: Bis zum 13. 9., mittwochs bis sonntags, 20.30 Uhr, Hohenschönhausen, Freienwalder Straße