Die neuen Konturen deutscher Entwicklungspolitik
: Der Staat insgesamt wird zum Projekt

■ Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat "umfassende Reformprogramme" angekündigt. Während die traditionelle Projektarbeit..

Der Staat insgesamt wird zum Projekt Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat „umfassende Reformprogramme“ angekündigt. Während die traditionelle Projektarbeit künftig privaten Stiftungen überlassen wird, konzentriert sich Bonn auf die Sanierung bankrotter Staaten.

Nach den begrenzten Erfolgen in der Entwicklung Afrikas in den 80er Jahren besteht die Gefahr, daß sich die sozialen, ökonomischen und ökologischen Probleme in den 90er Jahren weiter zuspitzen werden.“ Deutliche Töne vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in seinem neuen Strategiepapier Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den 90er Jahren. Der bisherigen, auf Einzelprojekte ausgerichteten deutschen Entwicklungshilfe wird bescheinigt, „relativ isolierte Beiträge“ zur Entwicklung Afrikas geleistet zu haben. Angesagt ist jetzt der große Sprung nach vorn — hin zu „umfassenden Reformprogrammen“. Nicht mehr die einzelne Schule, die einzelne Klinik, sondern der Staat insgesamt wird zum Entwicklungsprojekt.

In Zukunft soll die Aufgabe des BMZ in Afrika darin liegen, die gesamte Ausgabenpolitik der betroffenen Regierungen unter die Lupe zu nehmen und neue Prioritäten vorzuschlagen, die dann auch von Bonn direkt mitfinanziert werden können. Dies beinhaltet ausdrücklich auch eine „stärkere Einbindung unserer Hilfe in international koordinierte Programme“. Damit ist nichts weniger als die Einbindung in den neuen, von der Weltbank vorangetriebenen entwicklungspolitischen Konsens gemeint, in dem die Bekämpfung der Armut als vorrangig gilt.

Seit etwa zwei Jahren arbeitet die Weltbank an „Armutsverringerungsstrategien“, deren Ziel darin besteht, die Mehrheit der nicht über ein regelmäßiges Einkommen verfügenden Personen in der Dritten Welt in den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern (s. taz vom 23. 9. 91). „Soziale Netze“ sollen verhindern, daß ganze Bevölkerungsschichten aus der formellen Volkswirtschaft herausfallen und ein verarmtes Unruhe- und Emigrationspotential bilden. Zu diesem Zweck werden die öffentlichen Ausgaben der verschiedenen Länder einer detaillierten Prüfung — Public Expenditure Review — unterzogen und Umschichtungen vorgeschlagen. Deren Umsetzung ist dann das Ziel zukünftiger Hilfe.

Machtzuwachs der Mitarbeiter vor Ort

In einigen lateinamerikanischen Staaten hat die Weltbank solche Prüfungen der Sozialbudgets bereits vorgenommen. „Der Bildungssektor muß dringend einen neuen Schwerpunkt auf die Qualität der Grundschulbildung legen und dem gegenwärtigen Trend weg von der Chancengleichheit entgegenwirken“, steht etwa im Public Expenditure Review für Costa Rica zu lesen. Oder für Guatemala: „Ausgaben für die Wasserversorgung sollten auf zehn Prozent des Bruttosozialproduktes verdoppelt werden.“

Bonn plant nun, sich an solchen Überprüfungen in Afrika zu beteiligen, wonach, so das Strategiepapier, „eine längerfristige Mitfinanzierung von Sozialausgaben“ und die „erweiterte Übernahme laufender Kosten“ nötig sein könnte. Den naheliegenden Gedanken, das BMZ solle somit eine Art Garantie für die Zahlung von Beamtengehältern in afrikanischen Ministerien liefern — so wie es Frankreich mit seiner Budgethilfe für befreundete afrikanische Herrscher tut —, weist das Ministerium jedoch zurück. Es gehe lediglich um die langfristige Finanzierung konkreter Projekte wie Schulbücher oder Brennstoff- und Benzinkosten.

Politische Kriterien ergeben sich daraus von selbst. „Die im Rahmen der gemeinsamen Strategie verabredeten Fortschritte im Bereich 'gute Regierungsführung‘ sind regelmäßig zu kontrollieren“, steht im Strategiepapier. Zu beachten seien unter anderem „Verwaltungsförderung“, „Fragen des local government“ und schließlich der „Abbau des politischen und wirtschaftlichen Machtmonopols des Staates“.

Ob das jüngste Bonner Vorgehen gegenüber Namibia — dessen Entwicklungshilfe aus Deutschland vom BMZ halbiert wird, weil das Land im Rahmen eines französischen Hilfspakets einen Präsidentenjet erhält — eine praktische Umsetzung des neuen Ansatzes darstellen soll? Zu erwarten ist jedenfalls, daß Bonn, in Zusammenarbeit mit anderen Geldgebern, sich die Beurteilung dessen vorbehält, was im Papier „Entwicklungsorientierung des staatlichen Handels“ genannt wird. Dies könnte auch einen Machtzuwachs der in Afrika arbeitenden BMZ-Beamten mit sich bringen. Auf einer Tagung in Loccum hat dies ein BMZ-Mitarbeiter bereits vor zwei Jahren ausformuliert: „Hier muß von den gängigen Konzepten der Technischen Zusammenarbeit — Experten mit Beraterstatus — Abschied genommen werden. Es sind Fachkräfte gefordert, die bereit sind, für ihre Entscheidungen volle Verantwortung zu übernehmen, die in administrative Hierarchien eingebunden sind und die nicht als Fremdkörper empfunden werden oder als solche agieren.“

So zeichnen sich neue Konturen deutscher Entwicklungspolitik in Afrika ab. Während die traditionelle Projektarbeit den bereits seit Jahren als neue Partner entdeckten Nichtregierungsorganisationen und gemeinnützigen Stiftungen überlassen wird, konzentriert sich das BMZ auf die Sanierung bankrotter Staaten — nach dem Motto: Menschen helfen Menschen, Regierungen helfen Regierungen.

Dann müßte sich das BMZ aber auch mehr Gedanken machen, welche Aktivitäten privater Organisationen es fördert. In Berlin halten sich derzeit 14 Maschinenbauingenieure aus Tansania auf, die im Rahmen eines zweijährigen Deutschlandaufenthalts Praktika in Berliner Großunternehmen absolvieren. Organisiert wird das von der Carl-Duisberg-Gesellschaft (CDG), die 1991 von der Bundesregierung mit 150 Millionen Mark finanziert wurde. Das Projekt, das unter anderem „die Einführung einer systematischen Instandhaltung in der tansanischen Industrie fördern“ soll, ist nach Meinung eines Teilnehmers unangepaßt und unnötig teuer. Außerdem fielen durch die zweijährige, über die CDG vom BMZ finanzierte Abwesenheit die Gehälter und Nebenverdienste in der Heimat weg, mit denen die Ingenieure gewöhnlich ihre Familien über Wasser halten. Die Angehörigen in Tansania seien nun auf Überweisungen aus Deutschland angewiesen. Dominic Johnson