Kinder und Frauen verlassen Sarajevo

■ 1.000 Flüchtlinge unter dem Schutz von UNO-Truppen auf dem Weg nach Belgrad

Sarajevo (AFP/AP/taz) — Inmitten heftiger Kämpfe sind gestern mehr als eintausend überwiegend serbische Frauen und Kinder unter dem Schutz der UNO aus Sarajevo geflüchtet. In 17 Bussen fuhren sie aus der bosnischen Hauptstadt zunächst in den von Serben kontrollierten Vorort Pale. Später sollen die Flüchtlinge entsprechend einem Abkommen der Kriegsparteien nach Belgrad weiterreisen. Noch während sich der Fahrzeug-Treck in Bewegung setzte, wurden allerdings aus verschiedenen Stadtteilen Sarajevos wieder heftige Artilleriegefechte gemeldet. Wenige Stunden vor der Aktion hatte ein Granatwerferangriff auf das vollbesetzte Flüchtlingshotel „Europa“ noch einmal die Gefahren vor Augen geführt, die Zivilpersonen in der seit Monaten belagerten Stadt drohen. Zwei Menschen wurden getötet und 15 der 1.500 HotelbewohnerInnen verletzt. Noch Stunden nach dem Beschuß stand das vierstöckige Gebäude in Flammen. Vom Belgrader Fernsehen wurde die Beschießung des Hotels als mögliche Vergeltung für einen Feuerüberfall bosnischer Moslems auf das serbische Hauptquartier in Pale östlich von Sarajevo bewertet.

Das Gegenteil behauptet der Generalstab der serbischen Armee in Bosnien. Er erklärte gestern, allein die moslemischen Truppen seien für die Bombardierung des Hotels verantwortlich. Von der serbischen Armee habe der Angriff schon allein deswegen nicht ausgehen können, da diese ihre schweren Waffen bereits den UN-Schutztruppen (UNPROFOR) unterstellt habe. Tags zuvor sollen die serbischen Milizen in Bosnien angeboten haben, ihre rund um Sarajevo postierten Artilleriegeschütze unter UN-Kontrolle zu stellen. Bereits im Juni war ein dahingehendes Abkommen ausgehandelt worden — jedoch ohne positive Auswirkungen. Der ununterbrochene Artilleriebeschuß von Sarajevo ging ungehindert weiter.

In Kroatien kam nach Berichten der UNPROFOR vom Dienstag der siebte UN-Soldat seit der Stationierung der UN-Schutztruppen im früheren Jugoslawien ums Leben. Der Kanadier starb am Montag unter zunächst noch ungeklärten Umständen in Nova Gradiska. Dort befindet sich ein Stützpunkt der UNPROFOR in Kroatien. Von verschiedenen Fronten Kroatiens waren am Nachmittag neue Gefechte zwischen serbischen und kroatischen Einheiten gemeldet worden. Nach Angaben der Belgrader Nachrichtenagentur Tanjug hat die kroatische Armee serbische Stellungen nahe des Wasserkraftwerkes von Peruca, zwanzig Kilometer nördlich von Split an der kroatischen Adriaküste, beschossen. Die kroatische Nachrichtenagentur Hina berichtete, bei Artillerieangriffen der jugoslawischen Armee auf Slavonski Brod seien zwei Menschen schwer verletzt worden. Außerdem sollen bewaffnete Kroaten am Montag rund 200 moslemische Männer, die aus den bosnischen Kriegsgebieten nach Karlovac geflüchtet waren, zurück an die Front verschleppt haben. Die Bewaffneten zwangen die Männer dazu, in einen Bus einzusteigen, mit dem sie zunächst nach Rijeka an der kroatischen Adriaküste und später in die bosnischen Kriegsgebiete gebracht werden sollen. Wenige Tage zuvor hatten Flüchtlinge von ihrer Sorge, zwangsrekrutiert zu werden, berichtet.

Gleichzeitig hatte der „Nationale Rat der Moslems des Sandschak“ die Moslems in Serbien und Montenegro dazu aufgerufen, nicht für die FRJ in den Krieg zu ziehen. Solange die Behörden Rest-Jugoslawiens die Moslems diskriminierten, sollten sich die moslemischen Jugendlichen dem Wehrdienst in der jugoslawischen Armee entziehen, hieß es in der Belgrader Zeitung Borba.

EG hat bei Kontrolle des Embargos versagt

Die Europäische Gemeinschaft hat bei der Kontrolle des UN-Embargos gegen Rest-Jugoslawien versagt. Diesen Vorwurf formulierte der SPD-Vorsitzende Björn Engholm gestern in Bonn. Die Weigerung des EG-Ministerrats, den Vorschlägen für schärfere Embargokontrollen zu folgen, sei „nicht akzeptabel“. Jetzt müsse die Bundesregierung, so Engholm, alles in ihrer Macht Stehende tun, „um das Embargo auf jede nur erdenkliche Weise zu gewährleisten“.

Engholm schlug vor, den Wasserweg Donau gegebenenfalls der Kontrolle durch die Vereinten Nationen zu unterstellen. Darüber hinaus müßten EG und UN-Sicherheitsrat überlegen, wie das Embargo auf dem Gebiet von Staaten kontrolliert werden könne, die die Handelssperren „entweder lasch ausüben oder selbst nicht in der Lage sind, diese zu verwirklichen“.

Der frühere Außenminister Hans- Dietrich Genscher (FDP) verlangte erneut eine Totalblockade von Serbien und Montenegro. „Im Grunde ist das Augenwischerei, was derzeit geschieht“, sagte Genscher der Deutschen Welle. Anstelle von Soldaten könnten in den Nachbarstaaten Serbiens auch multinationale Einheiten von Polizei- und Zollbeamten eingesetzt werden. Daran könnten sich auch deutsche Beamte beteiligen. Der FDP-Abgeordnete Olaf Feldmann bezeichnete es als „Armutszeugnis“, daß die EG sich nicht auf eine Verschärfung der EG-Kontrollen zur besseren Embargodurchsetzung einigen konnte. Die gelieferten Begründungen sollten nur vertuschen, „daß hier der Mut und der politische Wille zum konsequenten Handeln fehlen“. Nach der Sitzung der EG-Vertreter in Brüssel hatte es unter anderem geheißen, daß die Wirksamkeit zusätzlicher Maßnahmen strittig sei; außerdem könnte das größte Embargo-Schlupfloch, der Schiffahrtsweg über die Donau und der Landweg über Rumänien, auch durch verschärfte Kontrollen nicht gestopft werden.