"Europa im Krieg"

■ betr.: "Der Bankrott der kritischen Intellektuellen" von Dunja Melcic, taz vom 15.8.92

betr.: „Der Bankrott der kritischen Intellektuellen“ von Dunja Melcic, taz vom 15.8.92

Mit der Situation in Jugoslawien bin ich durch enge Familienbande mit (meist kroatischer, wenn man nun heute dies leider definieren muß!) Verwandtschaft in Zagreb und Pakrac gut vertraut.[...]

Ich halte es für gut, daß Sie diese Diskussion in der taz offen führen. Ich verstehe jedoch nicht, daß Sie die bisherigen Kommentare und den heutigen Artikel von Frau Melcic bisher ohne scharfe Gegenrede veröffentlichen. Hier läuft ein Teil der kroatischen Kriegspropaganda, die in unseren Medien — besonders im ZDF — sehr erfolgreich das Meinungsbild prägt. Mit der Verunglimpfung der „Multiethniker“ und „Multikulturellen“, dem Beleidigtsein, daß sich „die westlichen Intellektuellen“ nicht mit dem überfallenen kroatischen Volk solidarisieren, wird eine Nebelwand errichtet. Die „guten“ neuen Staaten — Slowenien und Kroatien — sollen dadurch nur schemenhaft erkennbar sein, nach außen scheint die Leuchtschrift „Demokratie“, die Innenansicht ist verdeckt. Auf der einen Seite sind die Demokraten, mit denen der Westen sich gefälligst zu solidarisieren hat, auf der anderen „die Serben“, ein böses, östliches, einem anderen Kulturkreis angehörendes Volk, das auch noch an den Kommunismus glaubt.

Nach vielen Aufenthalten in den letzten Jahren in Slawonien und Zagreb, letztmalig im Mai, relativiert sich dieses Bild. In Kroatien entsteht ein neofaschistischer Staat. Die sogenannte freie Wahl vom 2. August fand größtenteils ohne Wahlkabinen statt. Kritische Zeitungen (zum Beispiel Danas) erscheinen nicht mehr, die Redakteure sind unter Arrest. Nichtkroatische Menschen müssen sich unter entwürdigenden Umständen „Heimatscheine“ besorgen. Obwohl es das „linke“ Menschenbild trifft: dieser Faschismus kommt von unten. Die Menschen (viele zumindest) wollen kämpfen, die UNO- Truppen werden als den Kampf störend gehaßt, die Serben sind Untermenschen, die zu vernichten, zumindest zu vertreiben sind. Man braucht nur die in Deutschland überall erhältlichen kroatischen Zeitungen zu kaufen (zum Beispiel Vecernji List) und einen (vertrauenswürdigen) Übersetzer zu haben, dann kann man leicht feststellen, daß das „Stürmer- Niveau“ durchaus erreicht wird. Es wäre eine wichtige Aufgabe für eine aufklärende Presse, sich das Innenleben dieser neu entstandenen Staaten vorzunehmen, bevor zu einer falschen Solidarität und einseitiger Parteinahme aufgerufen wird.

Gerade Deutschland — besonders Herr Großweltminister Genscher — trägt einen erheblichen Teil der Verantwortung für die heutige Situation. Es war ein grundlegender Fehler, diese Staaten in ihren — historisch sehr umstrittenen — Grenzen anzuerkennen. Obwohl Frau Melcic es abstreitet: es gab Jugoslawien und es gab Jugoslawen — und zwar ohne Zwang und „Völkergefängnis“. Fast jede dritte Ehe wurde über die „Völkergrenzen“ geschlossen; wie viele Kinder sind jetzt „Mischlinge“? Stellen wir uns die Situation in Deutschland vor: ein Frankfurter in München verheiratet: Bayern wird wieder Königreich und stellt Soldaten an die Grenze nach Aschaffenburg; der Hesse verliert in Bayern seine Staatsbürgerrechte und so weiter. Bei diesem Argument kommt der große Aufschrei der kroatischen und serbischen Nationalisten: „Aber Hessen und Bayern sind Deutsche, wir aber unterschiedliche Völker.“ Beide schreien dies in der gleichen Sprache und (ein rassistisches Element): sie sehen sich auch sehr ähnlich. Der Begriff der Nation wird hier so zur Karikatur, daß seine Instrumentalisierung durch die kroatischen und serbischen Machthaber eigentlich für jeden der Sachanalyse fähigen Menschen klar erkennbar wird: Den aus den alten jugoslawischen Machtstrukturen hervorgegangenen Parteien und Politikern (und dazu gehören fast alle — egal in welchem der neuen Staaten) ist es gelungen, die latent vorhandenen Nationalismen und den „alltäglichen Faschismus“ ihrer Einzel„völker“ zu schüren und in den Bürgerkrieg zu lenken. Damit konnte die alte Machtelite — nun getrennt nach Einzelstaaten — unbehindert von demokratischen Bewegungen und ohne Verzicht auf Privilegien weiter ihre Vorherrschaft ausbauen (wem gehören die Staatsvillen in Kroatien nun? Wem gehören die Fabriken und die Landwirtschaft?). Die Machtfragen und die Besitzfragen werden abgeleitet auf den Haß auf den Nachbarn. Christian Semler schrieb in der taz vom 28.8.91: „Indem dem jeweils anderen Volk eine charakterliche Disposition zum Völkermord unterstellt wird, entsteht jener fürchterliche Außenfeind, an dem der Nationalismus sich erst schärfen kann.“

Das Staatsziel Serbiens (und — wenn man mit den Menschen spricht — auch Kroatiens) ist es, heute (1992!) ethnisch möglichst reine Staaten zu bilden. Dieses Ziel wird mit aller Konsequenz verfolgt. Ein Indiz ist die Tatsache, daß zwar gewaltige Flüchtlingsströme aus Bosnien unterwegs sind, im „demokratischen“ Kroatien aber keinerlei ernsthafte Anstrengungen gemacht werden, diese Flüchtlinge aufzunehmen. In unseren Medien erfahren wir, daß Turnhallen und Zeltlager gefüllt sind, daß die Menschen in Zügen nach Westen verschoben werden und viele weitere mitleiderregende Details. Wir erfahren nicht, daß es in Kroatien weder ein Notprogramm für die Flüchtlingseingliederung gibt noch daß etwa daran gedacht wird, bosnische Flüchtlinge in leerstehenden Privathäusern (es gibt Zehntausende Wochenendhäuser an der Küste und im Inland) oder per Einquartierung in großen Wohnungen unterzubringen. Fragt man die Kroaten konkret danach, dann heißt es (einige ausgewählte Meinungen aus Telefonaten der letzten Tage): „Der Krieg ist in Bosnien, nicht bei uns. Damit haben wir nichts mehr zu tun: soll sich die Welt darum kümmern. Außerdem sind das alles Moslems, mit denen wollen wir nichts zu tun haben.“ Dem Satz von Milan Simecka, den Christian Semler am 28.8.91 in der taz zitiert hat: „Ein Volk, das mit sich allein bleibt, ist zur Dummheit verurteilt“, ist nichts hinzuzufügen.

Meine Anmerkungen bedeuten auf keinen Fall, daß ich das serbische Vorgehen oder die serbische Politik in irgendeiner Weise verteidigen möchte. Ich habe mich auf meine Eindrücke von der kroatischen Seite beschränkt, weil ich mir dort durch eigene Kenntnis ein Urteil erlauben kann. Prof.Dr.-Ing.Rudolf Eger, Darmstadt

[...] Wenn die berühmten „französischen Intellektuellen“, bestehend aus Finkielkraut, Glucksmann und Levy, mehr scheint es in dem „Land, das die Kategorie des engagierten Intellektuellen geboren hat“, nicht zu geben, nach Kroatien kommen, um den Intellektuellen dort „reinen Wein einzuschenken“, wobei die Frage ist, was an dieser albernen Absicht intellektuell sein soll, sind sie gute Leute. Kommt dahingegen Herr Mitterrand daher, geht nach Sarajevo, sicher auch, um die französische Flagge ein bißchen im Winde wehen zu lassen, dann ist er, weil er darüber nicht den Verstand verliert und sich noch ein paar eigene und nicht Melcics Gedanken macht, gleich mal Pfui.

Es gibt die berühmte, immer wieder von Frau Melcic abgezogene Leier von den „nationalkommunistischen Schergen“, die a priori grausam sind und schon historisch vom Türken- und Albanerblut besudelte Hände haben (und es sind bei Frau Melcic immer „die Serben“, differenziert wird nicht), weil sie sich gegen die türkische Herrschaft aufgelehnt haben, während die lieben Kroaten unter der österreichisch-ungarischen Knute sich so wohl fühlten. Übergangen wird, daß es Kroaten (nicht „die Kroaten“) waren, die den Serben zu ihrem historischen Trauma verholfen haben, indem sie sie unter der Flagge Großkroatiens zu Zehntausenden vertrieben und ermordet haben, zum Teil in richtigen KZs, wo kein westlicher Journalist je vorbeikam.

Frau Melcic muß solche kleinen Dinge verschweigen, weil sonst ihre Rechnung nicht mehr stimmt. Wer von der „Bestie des Großserbentums“ schreibt, wird als Manipulator entlarvt, wenn er vom Großkroatentum schweigt, das möglicherweise eine der Bedingungen des von ihm an die Wand genagelten „Großserbentums“ ist. Und so weiter und so fort.

Bleibt zum Ende zu sagen, daß ich kein Serbe oder Serbenfreund bin, das ganze Völkergewimmel auf dem Balkan ist mir normalerweise schnurzpiepegal, ich bin auch kein Intellektueller, wenn ich auch weiß, daß „die Redseligkeit im Historikerstreit und in der Heideggerdebatte“ etwas von dem ist, was Intellektuelle zum Nutzen und zur Klärung des geistigen Klimas in einem Lande von sich geben müssen, weil's schlicht ihre Aufgabe ist. Nicht das, was ihnen Melcic aufdrücken will. Klaus W.Kowol,

Gummersbach

Im südslawischen Krieg geht es offenbar nicht nur um ethnische oder religiöse Gegensätze. Hier tobt auch ein postmoderner Befreiungskampf: Vielheit statt Einheit, Splitterstaaten statt Integration. Darum geht es den philosophischen Fremdenlegionären Levy und Glucksmann. Vor lauter Schlagbäumen werden wir bald den Wald nicht mehr sehen. Christoph Heuke, Kiel