Wie der Verfassungsschutz mit IM-Verdächten umgeht

■ Die Affäre um den Magdeburger Umweltminister Rauls wirft ein merkwürdiges Licht auf Geheimdienstpraktiken

Hannover (taz) — „Das sind doch zwei nie erwachsen gewordene Männer, die immer noch wie im Sandkasten Geheimdienst spielen“, schimpfte gestern der Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. Gemeint waren Josef Boinowitz, kürzlich pensionierter Referatsleiter beim niedersächsischen Verfassungsschutz, und der heute in Thüringen tätige Geheimdienstler Jürgen Schapper, zuvor Chef der Außenstelle Magdeburg des Bundesamtes für Verfassungsschutz. In zwei als „geheim“ eingestuften Vermerken, über die der niedersächsische Innenstaatssekretär Claus Henning Schapper den zuständigen Landtagsausschuß in Hannover informierte, führte der Magdeburger Verfassungsschützer seinen Kollegen aus Niedersachsen als „Quelle“. Das Landesinnenministerium hat deswegen energisch beim Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Werthebach, protestiert.

In der Affäre geht es um den immer noch für jeden bundesdeutschen Politiker tödlichen Verdacht der informellen Tätigkeit für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR. Dieser Verdacht gegen den sachsen-anhaltinischen Umweltminister Wolfgang Rauls und einen seiner Kabinettskollegen wird zwar in den beiden Vermerken vom letzten November nicht belegt, er sollte aber offenbar nichtsdestotrotz zu Geld gemacht werden. „Quelle“, also der Niedersachse Boinowitz, bietet an, ein Gespräch zwischen der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei und dem auch damals schon entlassenen ehemaligen Sicherheitsbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt, Klaus-Dieter Matschke, zu vermitteln, der einst selbst V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes war. Matschke wisse von „zwei noch im Amt befindlichen Ministern, daß sie für das MfS gearbeitet hätten“. Er würde aber keine das Land belastenden Informationen weitergeben, „sofern seine finanziellen Forderungen gegen das Land in angemessener Weise befriedigt würden“. An die in Fällen von Erpressung zuständige Staatsanwaltschaft hat dieses Ansinnen keiner der Beteiligten weitergeleitet.

Bei den Befragungen von ehemaligen Stasi- Mitarbeitern sind dem Geheimdienst des rot- grün regierten Bundeslandes in sechs Fällen Gerüchte über eine IM-Tätigkeit von bundesdeutschen Politikern zugetragen worden. Nur in einem dieser sechs Fälle berichtete dabei ein ehemaliger MfS-Mitarbeiter „aus jahrelang eigener Kenntnis“. Alles andere waren offenbar IM-Gerüchte vom Hörensagen. All diese Gerüchte hat Niedersachsen, wie Innenstaatssekretär Claus Henning Schapper dem Landtagsausschuß erläuterte, weder an die Gauck-Behörde oder etwa an die für die Stasi-Überprüfung zuständigen Landtagsausschüsse weitergegeben. Nach Darstellung von Schapper sind alle bundesdeutschen Ämter für Verfassungsschutz übereingekommen, daß solche „Erkenntnisse“ allein dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu melden sind. Schließlich seien Politiker, die im IM-Verdacht stünden, von ausländischen Diensten erpreßbar. Der Fall Rauls, so sieht es jedenfalls der Grünen- Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann, zeigt aber, daß diese im Bundesamt gesammelten Informationen eben auch im bundesdeutschen Parteienstreit einsetzbar sind. Jürgen Voges