DOKUMENTATION
: Nie wieder Faschismus — nie wieder Krieg

■ Erklärung der grünen PolitikerInnen Helmut Lippelt und Claudia Roth zu dem Bürgerkrieg in Bosnien

Ausgangspunkt unserer Fahrt war der Wunsch, der serbischen Friedensbewegung und der demokratischen Opposition unsere Solidarität im Kampf gegen das Regime Milosevic zu zeigen, mit ihnen über mögliche Strategien zur Beendung des mörderischen Kriegs zu diskutieren und die besondere historische Verantwortung gerade von uns Deutschen an der Tragödie des ehemaligen Jugoslawiens und im Eintreten gegen jede Form von Faschismus und Nationalismus auszudrücken.

Wir teilen die eindringliche Kritik unserer GesprächspartnerInnen an der Politik der EG und ihrer Mitgliedsstaaten, die geprägt war und ist von Ignoranz, Unkenntnis, Einseitigkeit und Verantwortungslosigkeit. (...)

Übereinstimmung gab es darüber, daß unmittelbar alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen werden müssen, die das unendliche Leiden der Menschen gerade in Bosnien, das Morden, die Vertreibung, den Terror und die Zerstörung beenden, einen neuen Flächenverband im Kosovo verhindern. Die Schlüsselfiguren des Konflikts sind endlich zur Verantwortung zu ziehen.

In der zentralen Frage der Form der Intervention befinden sich die Grünen im selben Dilemma wie die Friedensbewegung in Belgrad. Der militärische Eingriff birgt eindeutig die Gefahr in sich, in seinen Konsequenzen nicht abschätzbar zu sein, zu einer unkontrollierbaren Eskalation des Kriegs zu führen, und er ist ein Schritt hin zur Logik der „militärischen Lösung“, die wir prinzipiell ablehnen. Er kann zudem kontraproduktiv wirken, weil er Milosevic in seiner Position stärken und die Opposition, wie die seit 1968 zum ersten Mal an allen serbischen Universitäten streikenden StudentInnen schwächen kann.

Auf der anderen Seite aber sind wir konfrontiert mit einer unglaublichen Welle von Nationalismus, Intoleranz, Terror, Gewaltbereitschaft und Militarisierung der Gesellschaft, einem dramatischen Werteverlust und schrecklichen Verbrechen. Sogenannte „ethnische Bereinigungen“, Internierungslager und archaische Gewalt sind klare Bestandteile des Faschismus.

Und Faschismus muß widerstanden und bekämpft werden. Unter klaren Voraussetzungen, notfalls auch mit Gewalt.

Es kann keine einseitige prokroatische und antiserbische Parteinahme geben. Es gibt Internierungslager auf allen Seiten, die sofort befreit werden müssen.

Wer die Verbrechen der serbischen Führer in Bosnien an moslemischen Bosnicas und Kroaten anklagt, darf nicht die ebenfalls aus „ethnischen“ Gründen betriebene Vertreibung der Serben aus Mittelslawonien verschweigen.

Da der Charakter der Kriegsführung weitgehend von modernen Freischärlerbanden bestimmt ist, auf die kaum noch jemand politischen Einfluß zu haben scheint, müssen diese Banden entwaffnet, ihre Anführer und Hintermänner auch in den jeweiligen Regierungen zu Kriegsverbrechern erklärt und international geächtet werden. Die Vorgänge in Bosnien machen die Notwendigkeit deutlich, internationale quasi „polizeiliche“ Eingriffsmöglichkeiten zu haben, und werfen die Frage auf, inwieweit eine demokratisierte UNO ein Gewaltmonopol ausüben darf und muß, um ihre Glaubwürdigkeit im Eintreten für Friedenserhaltung und Konfliktlösungen wiederzuerlangen.

Die Tragödie im ehemaligen Jugoslawien darf in unserer innenpolitischen Debatte nicht funktionalisiert werden, mit dem Ziel zur „Normalisierung“ des deutschen „Status“ zu gelangen, um ein weltweites militärisches Eingreifen der Bundeswehr über Nato und WEU möglich zu machen.

Deutschland kann nicht versuchen, über die Greuel in Bosnien seine eigenen Verbrechen am serbischen Volk zu entsorgen. Die Anerkennung Bosniens ausgerechnet am 6. April, dem Jahrestag der Bombardierung Belgrads 1941 durch die Nazis, ist ein Beispiel für das Ausmaß der historischen Ignoranz deutscher Außenpolitik.