Die Zeit der „leeren Stühle“ ist vorbei

■ In Washington werden heute nach mehrmonatigem Stillstand die bilateralen arabisch-israelischen Nahostverhandlungen wieder aufgenommen/ Seit dem Regierungswechsel in Israel besteht Aussicht auf ein Fortkommen in den Gesprächen

Berlin (taz) — Nach mehrmonatiger Unterbrechung werden heute die bilateralen arabisch-israelischen Nahostgespräche in Washington wieder aufgenommen. Es ist die sechste Verhandlungsrunde, zu der sich die Delegationen aus Israel, den besetzten Gebieten, Jordanien, Syrien und dem Libanon in der amerikanischen Hauptstadt zusammenfanden. Nachdem die frühere israelische Regierung unter Jitzhak Schamir seit der Madrider Eröffnungskonferenz im Oktober letzten Jahres vor allem auf Zeit gespielt hat, richten sich jetzt alle Hoffnungen auf den neuen Ministerpräsidenten Rabin. Er ist im Unterschied zu seinem Vorgänger bereit, mit den Palästinensern in Kürze eine Einigung über ein Autonomie- Statut für die arabische Bevölkerung in den besetzten Gebieten herbeizuführen. Auch im Verhältnis zu Syrien nimmt die jüngst gewählte israelische Regierung eine andere Position ein. Außenminister Schimon Peres kündigte immerhin an, Israel werde mit Damaskus in „ernsthafte Verhandlungen“ auf der Grundlage der UN-Resolution 242 eintreten.

Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen führte die rüde Behandlung der palästinensischen Delegation durch israelische Militärposten an der Allenby-Brücke gleichwohl zu einer kurzen Krise. Die palästinensischen Politiker wurden für mehrere Stunden aufgehalten, so daß sie fürchten mußten, nicht rechtzeitig zu Beginn der Verhandlungen in Washington einzutreffen. Erst durch amerikanische Vermittlung konnte der Streit über die Ausreiseformalitäten beigelegt werden.

Man kann diese Angelegenheit aber getrost als harmlosen Zwischenfall betrachten, wenn man an den krisenreichen Verlauf der früheren Verhandlungsrunden denkt. „Leere Stühle“ und „Korridorgespräche“ gehörten noch vor wenigen Monaten zum begrifflichen Inventar, wenn von den Nahostverhandlungen die Rede war. Palästinenser und Israelis konnten sich zu Beginn der Gespräche nicht einmal darüber einigen, in welcher Zusammensetzung ihre Delegationen aufeinandertreffen würden. Man traf sich im Stehen auf dem Flur und die gepolsterten Plätze im Verhandlungssaal des US-Außenministeriums blieben unbesetzt. Derlei groteske Rituale werden sich jetzt kaum wiederholen. Begonnen wurde dieses ehrgeizige Nahost-politische Projekt der US- Regierung nach dem Ende des Golfkrieges im April 1991. Die Entschlossenheit, mit der Bush und sein Außenminister Baker die „Nahostkonferenz“ damals in Angriff nahmen, hatte nicht zuletzt mit dem Bemühen zu tun, das angeschlagene Image der USA im Nahen und Mittleren Osten zu reparieren. Mit der „Madrider Eröffnungskonferenz“ im Oktober 91 begannen schließlich die direkten israelisch-arabischen Verhandlungen. Vorausgegangen war eine Serie von Nahostbesuchen von US-Außenminister James Baker. Durch parallelen Dialog mit den verfeindeten Regierungen und Vertretern der Palästinenser schnürte er ein Paket diplomatischer Formeln, das als Grundlage israelisch-arabischer Direktgespräche dienen konnte. Die zentrale Formel hieß „Land gegen Frieden“. Israel sollte für die Aufnahme normaler Beziehungen zu den arabischen Staaten „besetzte Gebiete“ aufgeben. Baker gelang es nach monatelanger „Shuttle-Diplomatie“ schließlich, unter der Schirmherrschaft der beiden Supermächte des „Kalten Krieges“, USA und UdSSR, zwischen den Palästinensern, Israel und seinen nördlichen und östlichen Nachbarstaaten einen mehrgleisigen Verhandlungsprozeß in Gang zu bringen.

Neben den bilateralen Verhandlungen sollen multilaterale Gespräche unter Beteiligung aller Staaten des Nahen Ostens kollektive Probleme behandeln, vor allem Fragen der Wasserverteilung, das Problem des Wettrüstens und die Lage der (palästinensischen) Flüchtlinge.

Der „Madrider Eröffnungskonferenz“ folgte eine Serie bilateraler Gespräche zwischen Israel, den Palästinensern, dem Libanon, Jordanien und Syrien, die aber auf der „formellen“ Ebene blieben. „Inhaltliche“ Gespräche ließen vor allem wegen der unnachgiebigen Haltung der früheren israelischen Regierung auf sich warten. Selbst die amerikanische Drohung, Israel die dringend benötigten Kreditgarantien über 10 Milliarden Dollar vorzuenthalten, brachte Ministerpräsident Schamir nicht zum Einlenken in der allseits kritisierten Siedlungspolitik.

Auch wenn der Regierungswechsel in Israel große Hoffnungen ausgelöst hat, ist mittlerweile eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Mehr als einen beschränkten Siedlungsstop konnte Baker im Juli auch Rabin nicht abringen, immerhin aber die Zusage, Syrien nicht zu „isolieren, bis eine Autonomie-Regelung festgeklopft ist“. Daß Bush die Kreditgarantie für Israel trotz der nur halbherzigen Beschränkung der Siedlungspolitik freigegeben hat, sollte vor allem seine Chancen auf Wiederwahl in den USA verbessern. Doch könnte sich dieser Entschluß als das trojanische Pferd dieser Runde erweisen — ein Ausstieg der Palästinenser ist erneut denkbar geworden. Ob die Verhandlungen wirklich aus der Sackgasse kommen, wird davon abhängen, wie die israelisch-palästinensischen Autonomie- Gespräche sich entwickeln. Nina Corsten