Treuhand zerschlägt den Glasring

Betriebe der Glas-Holding sollen einzeln verkauft werden/Eigeninteressen des Landes Thüringen im Spiel?  ■ Von Ralf Schönball

Berlin (taz) — In Ilmenau scheppert es gewaltig. Seit Monaten muß die Kleinstadt mitten im Thüringer Wald, einst einer der wichtigsten Standorte der ostdeutschen Glasindustrie, um die Existenz ihres letzten Paradebetriebes fürchten: die Glasring AG.

Auf der morgen stattfindenden abschließenden Gesellschafterversammlung soll der Firmenverbund, in dem sich unter Treuhand-Regie noch sechs Firmen mit zusammen rund 2.000 Beschäftigten befinden, endgültig zerschlagen werden.

Bereits im April hatte die Berliner Treuhandanstalt beschlossen, die Holding aufzulösen und die Gesellschaften einzeln zu verkaufen. Ein Übernahmeangebot der Geschäftsführer für den Glasring lehnte sie ab. Weil das die Treuhand aber billiger gekommen wäre, kann man sich in Ilmenau die Einzelprivatisierung nur aus politischen Gründen erklären: Die Thüringer Landesregierung ist an den Jenaer Glaswerken beteiligt, die zusammen mit dem Jenaer Mehrheitseigner Schott die wichtigsten Konkurrenten für den Glasring sind.

Dabei sahen die Perspektiven für den Glasring gar nicht schlecht aus: Der nicht wettbewerbsfähige VEB- Firmenverbund, der einst 18 Betriebe mit insgesamt 12.300 Beschäftigten umfaßte, wurde einem strammen Sanierungskonzept unterworfen. Die geschrumpfte Holding hatte im vergangenen Jahr mit Rohglasprodukten, Dämmstoffen, Pharmagläsern und Maschinen einen Umsatz von 130 Millionen Mark. Ab Mitte nächsten Jahres, so die Manager, könnte der Glasring sogar schwarze Zahlen schreiben.

„Die Entflechtung und der Abbau der Mitarbeiterzahl auf derzeit 2.000 ist die Rache der Planwirtschaft“, sagt Karl-Heinz Schmitt, Vorstandsmitglied des Unternehmens. Die Roßkur wurde gemeinsam mit der Münchner Unternehmensberatung Roland Berger durchgeführt. Der Aufbau eines westorientierten Vertriebsnetzes schlug sich bald auf die Geschäftszahlen nieder: Der Umsatzplan für 1992 wurde bereits im ersten Quartal deutlich übertroffen, allein im März beispielsweise um mehr als fünf Millionen Mark. Auch das noch negative Geschäftsergebnis lag im ersten Quartal mit einem Verlust von 13,7 Millionen Mark deutlich unter dem von der Treuhand eingeplanten Minus von 19,6 Millionen. Doch nach der im April beschlossenen Einzelprivatisierung stellte sich ein „Treuhandknick“ ein: Die Geschäfte gingen zurück, das überdurchschnittlich gute erste Quartal wurde durch das zweite eingeholt. „Daß Geschäftspartner vorsichtiger mit einem totgesagten Zulieferer sind, ist doch klar“, lautet Schmitts bittere Erkenntnis. Trotzdem wurde das Halbjahresergebnis mit Verlusten von 25,9 Millionen Mark im Vorjahresvergleich um mehr als 40 Prozent verbessert.

Daß die Treuhand dennoch an der Zerschlagung festhält, wird mit einem Gutachten des Unternehmensberaters Arthur Andersen begründet. Einem der Thüringer Staatskanzlei als Argumentationshilfe zugefaxten Auszug zufolge kostet die Verbundprivatisierung 369 Millionen Mark, die Einzelprivatisierung aber 276,5 Millionen. Die Folgerung von Staatssekretär Michael Krapp: „Die Treuhand hat die wirtschaftlichere Lösung gewählt.“

Doch der Staatssekretär scheint sich zu irren: Die Berechnungsgrundlagen seien falsch, behauptet die Glasring und legt andere Zahlen vor: Andersen schreibe 21 Millionen Mark an Altkreditübernahmen durch potentielle Käufer gut, den Vertragsentwürfen zufolge seien es jedoch nur acht Millionen. Ferner solle der Verkauf der Gesellschaften über 48 Millionen Mark bringen, in den Vertragsentwürfen seien jedoch nur 25 Millionen einkalkuliert. Zwei „Rechenfehler“ von vielen, die das Ergebnis umkippen ließen: Die Einzelprivatisierung — der Verkauf von zwei Gesellschaften und eine Begleitung der restlichen vier bis Ende 1993 — koste insgesamt 386,2 Millionen Mark, 50 Millionen mehr als die Übernahme im Verbund, die das Glasring-Management angeboten hatte. Ihre „Rechenfehler“, so die Geschäftsleitung, hätten die Andersen-Berater im übrigen längst eingeräumt, dies sei im Protokoll der letzten Aufsichtsratssitzung vom 13.7. nachzulesen. Doch die Treuhand kontert: „Von einer Korrektur des Andersen-Gutachtens wissen wir nichts“, so Treuhand-Sprecher Franz Wauschkuhn.

Die Berliner Behörde begründet die Einzelprivatisierung mit dem Desinteresse potentieller Investoren an dem Gesamtpaket. Tatsächlich hatte die Schuller GmbH Interesse an dem Werk Steinbach und die Marburger Tapetenfabrik an dem Werk Brattendorf bekundet. Beide Werke gehören zur Thüringer Glasfaser GmbH, dem Hersteller von Baustoffen, Dachbahnen und Tapeten und gleichzeitig Filetstück des Glasring- Bratens. „Wir schreiben seit kurzem schwarze Zahlen“, sagt Geschäftsführer Volker Braun. Der Einstieg der beiden West-Firmen scheiterte jedoch am Veto des Glasring-Aufsichtsrat: Rund acht Millionen Mark wollten sich die West-Partner das Geschäft kosten lassen; der Buchwert des Anlagevermögens samt Liegenschaften und Maschinenpark betrug 20 Millionen Mark.

Aber selbst wenn die beiden Betriebe verkauft und Pitsburgh Corning die Schaumglas GmbH trotz der Kartellamtsbedenken übernehmen würde, für die übrigen vier Gesellschaften, den Glasmaschinenbau, die Pharmaglas, die Glaswerke und die Thermometerwerke sind keine Investoren in Sicht. Noch im Mai hatte die Treuhand mit der Thüringer Landesregierung den Erhalt von 1.700 Arbeitsplätzen in Ilmenau vereinbart. Will die Behörde ihr Wort halten, könnte sie das teuer zu stehen kommen, denn ohne die Verbundsynergien drohen die Rest-GmbHs zum Dauersanierungsfall zu werden.

Weil finanzielle Argumente nicht greifen, wertet Andreas Enkelmann, Thüringer SPD-Landtagsabgeordneter, die Glasring-Affäre so: „Für die Glasindustrie gilt dasselbe wie für andere Branchen: Im Osten darf kein Wettbewerb entstehen.“ Der Hintergrund: Die Landesregierung ist mit 49 Prozent an Carl Zeiss Jena beteiligt. Dieselbe Beteiligung hält das Land auch an den Jenaer Glaswerken, Mehrheitseigner ist der Mainzer Glashersteller Schott. Die Produktpalette von Schott und den Jenaer Glaswerken deckt sich aber weitgehend mit der vom Glasring. Auf die ausbleibende Förderung des Glasrings durch das Land angesprochen, so Enkelmann, habe Staatskanzleiminister Franz Schuster versichert, er werde sich keine Konkurrenz im eigenen Land machen.

Michael Krapp, Staatssekretär in der Thüringer Staatskanzlei, hat dafür eine andere Erklärung: „Wir können laut Gesetz keine Mittel an Treuhandbetriebe wie die Ilmenau AG vergeben.“ Doch Gelder der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung regionale Infrastruktur“, je zur Hälfte von Bund und Land finanziert, können als Investitionszuschüsse an Treuhandbetriebe fließen. Die Voraussetzung: ein Sanierungskonzept der Treuhand wie bei der Glasring. Doch Treuhand und das Land sollen bereits 400.000 Mark pro Arbeitsplatz nach Jena überwiesen haben. Weil die meisten Thüringer Mittel in die Beteiligungsgesellschaft des Landes fließen, erklärt Wirtschaftsminister Jürgen Bohn lapidar, sei für Ilmenau nichts mehr übrig.

Wirtschaftspolitische Interessen werden auch hinter zurückgehaltenen Treuhand-Mitteln vermutet: 74 Millionen Mark wurden für 1991 zugesagt, aber nur 30 Millionen überwiesen. Wie wichtig die Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind, beweist die Ilmenauer Glaswerke GmbH: Die Einrichtung einer modernen Kühlbahn spart Energiekosten von monatlich 27.000 Mark. Und der Unternehmenserwerb durch die Führungskräfte habe zwei Vorprüfungen durch ein Bankenpool erfolgreich durchlaufen, so Vorstand Schmitt. Treuhand-Sprecher Franz Wauschkuhn: „Wir sind vorsichtiger geworden, seitdem viele solche Übernahmen in Konkurs gehen mußten.“