Süddeutschland vor dem Müllnotstand

■ In Ulm reichen die Lagerkapazitäten nur noch bis zum Mittwoch/ Justizministerin Leutheusser- Schnarrenberger will Gesetze verschärfen/ Grüner-Punkt-Müll auch nach Osteuropa exportiert

Stuttgart/Frankfurt (dpa/AP/taz) — Baden-Württemberg droht trotz neuer Vereinbarungen zwischen Bundesumweltminister Töpfer und seiner französischen Kollegin Royal der Müllnotstand. Der Stuttgarter Umweltminister Harald B. Schäfer (SPD) sagte, es könne keine Entwarnung gegeben werden. Die betroffenen Kreise und Städte müßten so schnell wie möglich eigene Lösungen entwickeln, um den Notstand abzuwenden. Frankreich gewähre Deutschland keine Ausnahmeregelung und keine Übergangsfristen für Müllimporte zu Deponiezwecken.

Die am Freitag vereinbarte deutsch-französische Arbeitsgruppe für die Müllkooperation der Grenzregionen wird nach den Worten des Bonner Umweltministers Klaus Töpfer (CDU) morgen in Paris zusammentreffen. Angesichts des Müllnotstands hätten die Minister sich geeinigt, Ende August neue Regelungen zum Problem des Hausmüllexports vorzulegen. Bis dahin gelten die französischen Regelungen: Müll darf nur mit staatlicher Genehmigung über die Grenze und wenn der Abfall weiter verarbeitet oder verbrannt werde.

Der Oberbürgermeister von Ulm, Ivo Gönner (SPD), sagte, das Ergebnis von Paris befreie seine Stadt nicht von akuten Nöten. Da bis Ende August beraten werde, sei eine Lösung erst Anfang September in Sicht. Die Stadt könne nur bis diesen Mittwoch zwischenlagern. Neuer Müll müsse unter freiem Himmel abgekippt werden.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kündigte für 1993 härtere Strafen gegen Umweltsünder und damit auch gegen illegale Müllexporteure an. Das neue Strafrecht soll einen besseren Schutz der Böden und ein leichteres Vorgehen gegen Luftverschmutzer bringen, weil der Nachweis der Schädigung nicht mehr erbracht werden muß. Bisher wurde nach den Worten der Ministerin nur bestraft, wenn das Grundwasser verunreinigt oder Abfall umweltgefährdend beseitigt wurde. Alles andere war eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße geahndet wurde. „Künftig macht sich jeder strafbar, der beispielsweise leichtfertig Altöl in den Boden versickern läßt oder umweltgefährdende Stoffe mangelhaft lagert.“ Im Kampf gegen illegale Mülltransporte will auch das Bundeskriminalamt (BKA) aktiv werden. BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert regte an, Spezialdienststellen zur Bekämpfung der Müllschieber einzurichten.

Bundesumweltminister Töpfer will zunächst am Dualen System mit dem Grünen Punkt festhalten. Man könne nicht von Kriminellen die „Grundregeln unserer Abfallwirtschaft in Frage stellen“ lassen. Greenpeace forderte ein sofortiges striktes Exportverbot für Abfälle aller Art.

Nach einem Bericht des Spiegels sollen Kunststoffverpackungen mit dem Grünen Punkt des Dualen Systems Deutschland nicht nur nach Frankreich, sondern auch nach Osteuropa verschoben worden sein. Das Hamburger Blatt berichtete, eine Augsburger Firma habe Plastikmüll aus Baden-Württemberg und Bayern nach Slowenien vermakelt. Weitere 420 Tonnen gemischter Kunststoffabfälle sollten zu einer Recyclinganlage nach Ungarn gehen. Nach Rumänien habe eine Münchner Firma 34 Tonnen Kunststoffabfälle zur Wiederverwertung geliefert.

Wegen illegaler Müllimporte aus Deutschland hat die französische Justiz eine fünfte Anklage eingeleitet. Ein französischer Mittelsmann für die Müllimportfirma Concorde International wird beschuldigt, bei den jüngsten Einfuhren von Klinikmüll beteiligt gewesen zu sein.