„Hauptsache, er war gut in der Partei!“

■ Das Orchester der Lettischen Nationaloper ist zu Gast in Bremen / Gespräch über Arbeitsbedingungen und Veränderungen

Heute abend sind die MusikerInnen des Orchesters der Lettischen Nationaloper zu Gast in Bremen, sie spielen zusammen mit dem Domchor Mozart und Rossini. Mit der taz sprachen der Künstlerische Leiter und Chefdirigent, Viesturs Gailis, die Bratschistin Andra Visendorfa, der Konzertmeister Andris Melnbárdis.

taz: Riga ist jetzt selbständige Republik — haben sich Ihre Arbeitsbedingungen seitdem verändert?

Viesturs Gailis: Das Wichtigste: Früher konnte ein Mensch in der Oper arbeiten, auch, wenn er nicht professionell genug war, wenn er kein guter Musiker war — Hauptsache, er war gut in der kommunistischen Partei! Heute schließen wir nach einem neuen Vertrags-System nur noch Kontrakte über ein Jahr ab. Man kann ja nicht alles sofort machen, die Menschen müssen auch arbeiten, aber so können wir das alte System doch durch ein neues ersetzen.

Und wieviele MusikerInnen haben Sie schon ausgetauscht?

Gailis: Im Orchester, wir sind ja 100 Musiker, sind 15 bis 20 neu, gegangen sind alte Musiker und Parteifunktionäre. Heute haben wir viele junge Leute, auch aus der Musikhochschule.

Haben Sie Geldsorgen?

Gailis: Wir haben im Moment kein Haus, keine Bühne, weil unser Opernhaus seit eineinhalb Jahren renoviert wird, und das dauert noch vier Jahre! Wir arbeiten jetzt im alten Fernsehstudio. Wir sind ja die Nationaloper, unsere Situation ist deshalb ein bißchen besser als die von anderen Theatern in Riga. Aber: Für das Geld, das wir bekommen, können wir fast nicht leben.

Wie leben Sie als Bratschistin von dem, was Sie verdienen? Es gibt ja erhebliche Inflation in Lettland.

Andra Visendorfa: Für Brot ist genug da. Nur alles andere ist sehr schwierig. Schwarze Kleidung für die Auftritte, das machen wir, fast alle Frauen, alles selbst, wir nähen selbst.

Andris Melnbárdis : Da haben es die Frauen noch besser! Was soll ich machen mit dem Anzug!

Spielen Sie noch gern russische Komponisten?

Melnbárdis: Wir spielen italienische Stücke, deutsche, lettische, russische — Wagner hat ja mal selbst in Riga gearbeitet, unsere Oper war ja mal Wagner-Oper.

Will das Publikum noch viel Russisches hören?

Visendorfer: Ja. Tschaikowskis Schwanensee — ein schönes Ballett, das geht ohne nationale Probleme!

Wieviel Frauen sind bei Ihnen?

Visendorfer: Bei den Streichern sind fast nur Frauen, insgesamt ist es ungefähr halbe-halbe.

Herr Gailis, Sie entscheiden über das Programm. Wie?

Jetzt oft organisatorisch: Wir haben die große Bühne nicht und können viele Bühnenbilder nicht verwenden. Und wir spielen sehr sehr wenig! Im nächsten Jahr nur 40 Opern, weniger als 30 Ballettaufführungen. Ich muß den Solisten aber Arbeit geben, sonst verlieren sie ihre Professionalität. Ich muß deshalb Opern aussuchen, an denen möglichst viele Solisten teilnehmen können.

junger Mann

Viesturs Gailis, seit '84 Dirigent, seit einem Jahr Chefdirigent

Spielen im Orchester auch Russen?

Gailis: Ja! Letten, Russen, ein Armenier... Daß die Russen bei vielen Letten verhaßt sind, liegt auch daran, daß man auf der Straße die „Gastarbeiter“ trifft, das war nicht die Intelligenzia von Rußland. Aber ein guter Musiker und ein guter Kollege — das ist etwas ganz anderes!

In welcher Sprache erklären Sie bei den Proben?

Gailis: Normalerweise auf lettisch, aber wenn ein russischer Solist etwas nicht versteht, spreche ich russisch. Ich habe in Leningrad — im ehemaligen Leningrad! — das Konservatorium abgeschlossen.

Haben Sie einen Eindruck von Bremen?

Visendorfa: Bremen ist ein bißchen wie Riga, ich finde Bremen wunderbar schön, sauber...

Gailis: Wir hatten wenig Zeit, aber ich fühle mich wie zu Hause.

Fragen: Susanne Paas