Südstaaten-Quickies

■ „Wer wird die neue Scarlett“, täglich Sat.1, 20 Uhr

Drei Minuten, die entscheiden. Sat.1 sucht eine neue Scarlett O'Hara. Jeden Werktag wird ein Mini-Spot mit Probeaufnahmen von je einer der insgesamt 15 Bewerberinnen gezeigt. Grund für den ganzen Aufwand: das Leinwandepos „Vom Winde verweht“ soll als Fernsehserie fortgesetzt werden. 30 Millionen Dollar wird der Spaß kosten: die teuerste TV-Produktion der Welt. Die Senderechte sollen weltweit vermarktet werden. Sat.1 will schon im Herbst 93 die erste Folge zeigen.

Das einzige was fehlt, ist ein „unverbrauchtes Gesicht“ für die Titelrolle. Und hier dürfen die Zuschauer von Sat.1 mitentscheiden. An drei Sonntagen sollen sie per TED die Scarlett der Woche bestimmen. Von diesen drei Wochen-Scarletts kürt eine Jury später nach Manier der Miss-Contests die Deutschland- Scarlett, die dann mit 14 anderen Länder-Scarletts in Atlanta antritt, wo endlich die World-Scarlett ermittelt wird.

Doch vor diesem möglichen Triumph hat Sat.1 viel Schweiß und Mühsal gesetzt. Täglich mimen sich nun die Scarlett-Starlets in spe mehr recht als schlecht durch das flache Südstaaten-Dekor eines Fernsehstudios. Eine scharze Mummy (Schuhcreme?) radebrecht, daß sich die Sat.1-Kugel biegt, und ein Rhett- Butler-Double schnobbert kunstvoll mit dem Bijou-Bärtchen. Immer mittenmang schürzen die ständig wechselnden Scarletts die verschiedensten Reifröcke, fabrizieren Schmollmünder und probieren den erotisierenden Augenaufschlag. Festgehalten wird das Vorspiel in drögster Video-Optik: Zoom, Schnitt, Zoom, Schnitt, Abspann. Und um das Cinemascope des Kinovorbilds zu imitieren, werden zusätzlich noch schwarze Balken an die Bildränder geklatscht. Kurz: Man stelle sich vor, die Drombuschs deklamierten aus „Vom Winde verweht“ im Ambiente eines Stilmöbelgeschäfts, dann weiß man, was man verpaßt.

Bei aller Lächerlichkeit steckt hinter dem ganzen Brimborium ein klares Kalkül: Soll die Millionen-Investition für die Serie nicht vom Winde verweht werden, sondern Profit bringen, dann muß von der ersten Stunde an um die Gunst der Zuschauer gebuhlt werden. Damit später die Einschaltquoten stimmen, wird im Vorfeld werbewirksam ein bißchen Basisdemokratie simuliert. Bleibt konsequenterweise nur noch zu fordern, daß nach Scarlett nun auch der neue Rhett Butler mit Volkesstimme in seine Rolle berufen wird. Martin Moser