Wer hat Angst vor rot, plau, krün?

Vor 25 Jahren drückte Willy Brandt auf den Knopf, seitdem ist alles so schön bunt hier  ■ Von Manfred Riepe

Ein Vierteljahrhundert ist vergangen seit Außenminister Willy Brandt zur Eröffnung der Berliner Funkausstellung auf den Knopf drückte. Er hätte das auch sein lassen können, denn der eigentliche Schalter, der das Bild auf den müden 6.000 bis zu diesem Zeitpunkt verkauften Farbfernsehern bunt werden ließ, wurde von unsichtbaren Technikern gedrückt. Oberingenieur Gerhard Stump, der die erste Farbübertragung technisch leitete, war mit einem DM 2,5 Millionen Mark teuren Ü-Wagen nach Berlin gereist: „Da konnten wir für Brandts Knopf nur noch DM 2,50 ausgeben“.

Eigentlich sollte die Zeremonie mit einem schnöden Klingelknopf abgewickelt werden. SFB-Chefrequisiteur Karl-Heinz Rupp schleppte jedoch einen großes, repräsentatives Schaltgerät an, dessen Farbe erst erkennbar wurde, nachdem es gedrückt ward: rot. Der Schritt hin zur vorläufigen Vollendung der Fernsehtechnologie war getan: Die Cartwrights ritten farbig und Vico Torriani gab dem Fernsehen den „Goldenen Schuß“ in Farbe.

Die zur Entwicklung des Farbfernsehens notwendigen Erkenntnisse sind älter als das Fernsehen selbst. Die Hypothese, in der Netzhaut befänden sich farbempfindliche Partikel in den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb, aus denen sich sämtliche Farben durch additive Mischung ergeben, stammt von dem englischen Physiker Thomas Young (1773-1829). Seine Hypothese wurde 1859 von James Clark Maxwell experimentell bestätigt.

Voraussetzung für farbige Television ist das Fernsehen selbst, dessen Idee auf die Anwendung der Elektrizität bei der Telegrafie zurückgeht. Diese wurde 1843 von Samuel F.B. Morse samt dem nach ihm benannten Alphabet entwickelt (worauf in jedem Western von Indianern die Telegrafenmasten umgehauen wurden).

Im Gegensatz zur Lehrmeinung Walter Bruchs ist das Fernsehen kein „Geschenk eines einzelnen“, nämlich Paul Nipkows, der 1883 sein Patent eines „Elektrischen Teleskops“ anmeldete. Ähnlich wie der Film basiert Fernsehen auf mehreren Erfindungen, die in aller Welt zeitgleich gemacht wurden. Schon 1843 schlug der schottische Philosoph Alexander Bain ein Verfahren vor, um Bildvorlagen in elektrische Stromimpulse zu zerlegen und über Kabel zu übertragen. Das technische Verfahren, Bildvorlagen in Bildpunkte aufzulösen und durch zeilenweise Abtastung zu Übertragen, wurde von Nipkow mittels der nach ihm benannten, rotierenden Spiral-Lochscheibe lediglich optimiert.

Fernsehen, wie wir es heute kennen, basiert auf der Kombination der drahtlosen Kommunikation (Entdeckung der elektromagnetischen Wellen durch Heinrich Hertz, 1887) und der Übertragung des mechanischen Nipkow-Prinzips auf die von Karl Ferdinand Braun 1897 entwickelte Kathodenstrahlröhre.

Um die Television als rein deutsche Erfindung zu vereinnahmen, wurde Paul Nipkow im Dritten Reich zum „Vater des Fernsehens“ gekürt. Er bekam eine lebenslange Rente von 400 Reichsmark und erhielt bei seinem Tod ein Staatsbegräbnis, das selbstverständlich im Fernsehen übertragen wurde.

Nachdem Hitler 1935 den Streit um die Zuständigkeit des Fernsehwesens zwischen Goebbels und Göring zugunsten der Luftfahrt entschieden hatte, war Fernsehen ein ausschließlich militärisches Medium. „Als der zweite Weltkrieg ausbrach, wurden die Fernsehelektroniker bewährte Helfer für die Impulstechnik der Radarentwicklung“, sagt Walter Bruch, der die TV-Elektrik als „Mutter der Elektronik“ bezeichnet. An der Heimatfront wurde der „elektronische Freudenspender“ bis nach 1943 als „Verwundetenfernsehen“ für körperliche und seelische Wiederherstellung der Soldaten für den Kriegseinsatz verwendet.

1937 wurde auf der Berliner Funkausstellung erstmals ein zweifarbiges Bild (180 Zeilen bei 25 Bildern pro Sekunde) präsentiert. In den USA lizensierte die nationale Fernmeldebehörde (FCC) am 10.10.1950 trotz massiver Einsprüche mehrerer Industriefirmen ein mit dem Schwarzweiß-TV inkompatibles, halbmechanisches Buntfernsehen. Es wurde im Dezember 1953 durch ein vollelektronisches und schwarzweiß-kompatibles System des Industriekartells „National Television System Comittee“ (NTSC) abgelöst.

Im Zuge des durch Marktsättigung erfolgten ersten Absatzeinbruchs bei Schwarzweißgeräten kam es in Deutschland erst 1967 zur Einführung der Farbe. Vorangegangen war ein europaweiter industriepolitischer Grabenkieg um die Farbnorm. NTSC war das störanfälligste System (Spitzname „Never the same colour“).

Als das SECAM-System ins Hintertreffen geriet, sicherten sich französische Firmen klammheimlich durch wirtschaftliche Zusatzversprechungen den Ostmarkt. Der Rest der europäischen Staaten entschied sich für das störungsfreie PAL-System von Walter Bruch, der zudem eine Transkodierungstechnik zwischen den Normen entwickelt hatte.

Beim Verkauf der Endgeräte ignorierte Neckermann die Preisabsprache der Industrie (DM 2.500,—) und entfachte mit 1.840 DM teuren TV-Geräten den „Preiskrieg“. Wegen des auf Studioseite immens hohen Kostenaufwands wurde das bunte Programmangebot von ARD und ZDF bis zum Herbst 1968 auf je vier Stunden pro Woche beschränkt. Ab 1970 waren „Tagesschau“ und „heute“ farbig.

Roberto Blanco: „Jetzt braucht ihr uns Farbigen“

Die Umstellung des Sendebtriebs kostete allein die ARD bis 1972 (als nahezu alle Sendungen in Farbe ausgestrahlt wurden) rund 160 Millionen Mark: „Die mit dem Farbfernsehen verbundene technisch-organisatorische Entwicklung und die Ausweitung des Gesamtapparates führte dahin, daß die Programme als Produkte mehr einen Warencharakter bekamen. Sie müssen industriell hergestellt werden mit Hilfe eines erheblichen Sachkapitaleinsatzes; eine ausgedehnte bürokratische Verwaltung ist notwendig sowie eine weitgehende Arbeitsteilung“, schrieb Jürgen Gandela 1975 im Fachmagazin Medium.

Mit dem auf Color-TV basierenden Bluebox-Farbstanzverfahren wurde eine neue Dimension der Bildmanipulation entwickelt. Gleichzeitig wurde die Kreativität des Regisseurs beschnitten zugunsten des Technikers, der bestimmte, was technisch machbar war. Das 4:3-Format etablierte beim TV-Film eine auf die Bildmitte konzentrierte Ästhetik, die wegen mangelnder Auflösung auf Totalen zugunsten häufiger Großaufnahmen verzichtete.

Mit der Einführung der Farbe sank beim Zuschauer die Abstraktionsschwelle, so daß das Fernsehen in der Folge weniger als Ensemble inszenierter Bildwelten denn als unmittelbare Wirklichkeit erachtet wurde. Nach dem Einspruch Heiner Geißlers (CDU) wurde 1970 „Schweinchen Dick“ wegen zu großer Agressivität und Brutalität aus dem ZDF-Programm geschmissen. Roberto Blancos Kommentar zur bunten Television: „Jetzt braucht ihr uns Farbigen“.