Kaukasische Völker machen mobil

Konföderation der Völker des Nordkaukasus droht Georgien mit Intervention und Terrorakten/ Granate explodierte in der Hauptstadt Tbilissi/ Schewardnadse zieht Truppen aus Abchasien nicht ab  ■ Aus Moskau K.-H. Donath

Aus den Bergtälern des Hohen Kaukasus, der Rußland von Georgien trennt, drohte die vor kurzem gegründete Konföderation der Bergvölker dem Nachbarstaat Georgien mit militärischer Intervention und „Terrorakten“. Die Vereinigung der kleinen nordkaukasischen Völker verlangt einen sofortigen und bedingungslosen Abzug georgischer Truppen aus Abchasien. In Tbilissi reagierte der Staatsrat umgehend und kündigte eine Generalmobilmachung an: Die Drohung der Konföderation „markiere den Beginn einer bewaffneten Intervention in die internen Angelegenheiten Georgiens“. Gestern explodierte in der georgischen Hauptstadt, nahe des Wohnsitzes von Verteidigungsminister Tengis Kitowani, eine Granate. Vermutlich, so die Polizei, eine Tat von Anhängern Gamsachurdias oder Freiwilligen der Bergvölker.

Eduard Schewardnadse in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Staatsrates spielte die Gefahr zwar herunter, ordnete aber dennoch eine Reihe „präventiver Maßnahmen“ an: „Wir wollen die Krise mit politischen Mitteln lösen, aber es gibt Versuche, uns zur Gewaltanwendung zu zwingen.“ Die militärische Präsenz an den Grenzen Georgiens wurde verstärkt, und in Tbilissi soll eine nächtliche Ausgangssperre verhängt werden, nachdem die Konföderation die Hauptstadt zur „Gefahrenzone“ erklärt hat, in der alle „auch Terrorakte“ angewendet werden.

Militärisch spielt die Bedrohung durch die Konföderation kaum eine Rolle. Georgiens 4.000köpfige Nationalgarde dürfte spielend damit fertig. Russische Truppen sollen inzwischen an der Grenze zu Georgien 150 schwerbewaffnete Nordkaukasier festgenommen haben. Aus dem Kabardino-Balkarischen Autonomen Gebiet wurden 500 Freiwillige vermeldet, die bereits in Abchasien eingetroffen sind. Ob es den Bergvölkern wirklich um die Unabhängigkeit Abchasiens geht, bleibt allerdings mehr als zweifelhaft. Ihr eigentliches Ziel scheint es zu sein, den Konflikt zwischen Abchasien und Georgien anzuheizen. Schließlich gilt dieses Gebiet immer noch als Hochburg der Anhänger des verjagten Präsidenten Gamsachurdia.

In der „Konföderation“ hat sich etwa ein Dutzend verschiedener Völker zusammengeschlossen. Ihr Zentrum ist Grosnij, die Hauptstadt der rebellischen Tschetschenen. Augenfällig ist, daß ihr militanter Führer Dudajew seit Januar Gamsachurdia bei sich beherbergt. Kann man den Quellen des georgischen Geheimdienstes trauen, hat Gamsachurdia unlängst die kaukasischen Völker aufgerufen, „Georgien von der Diktatur Schewardnadses zu befreien“. Während seiner Präsidentschaft suchte der Psychopath Gamsachurdia schon die Nähe Dudajews. Damals wurden Gerüchte laut, beide wollten im Kaukasus ein neues „Staatengebilde“ schaffen.

Um so erstaunlicher wäre es, wenn die kleineren Gebirgsvölker nun die Interessen der beiden Möchtegern-Potentaten erfüllen würden. Nachdem Rußland den tschetschenischen „Fürsten“ vor einer Intervention gewarnt hatte, dementierte Dudajew jegliche Verwicklung. Im norkaukasischen Gebiet, seinen unzugänglichen Tälern, sind Tscherkessen, Nogaier, Kabardiner und Karatschaier, Balkaren und Inguschen, Osseten, Awaren, Lesginen und Laken zu Hause — um nur einige zu nennen. Erst in der „Sowjetzeit“ setzte so etwas wie eine „Nationsbildung“ von oben ein. Bis dahin lebten sie in tribalen Zusammenhängen und Clan-Formationen, die sich auf einen gemeinsamen Vorfahren beriefen. Zum Teil hat diese psychische Struktur die Sowjetisierung und Zwangsumsiedlung unter Stalin überdauert. Versuche der Kommunisten in den 20er Jahren, die Nordkaukasier in einer Republik zu vereinigen, schlugen wegen der unzähligen Feindschaften untereinander fehl. Jüngstes Beispiel ist die Abspaltung der Inguschen von der ehemaligen Republik Tschetscheno-Inguschetien.

Vielfach gilt auch das jeweilige Verhältnis zu den Russen als Motiv der Feindschaft. Die meisten der Bergvölker vereint allerdings die Nähe zum muslimischen und türkisch-tatarischen Kulturraum, dem sich auch die Abchasen im sonst christlichen Georgien zurechnen.

Ob beabsichtigt oder nicht. Innenpolitisch kann der Staatsrat Georgiens diese Chance nutzen, um mit den Anhängern Gamsachurdias „aufzuräumen“ und die Autonomiebestrebungen kleinerer Völker zu unterdrücken. Schewardnadses Wirken in dieser Situation bleibt unklar. Wie weit reicht sein Arm? Verteidigungsminister Tengis Kitowani ist für seine Eigenmächtigkeit bekannt, der zweitgrößte Feldherr des Landes, Literaturprofessor Dzaba Ioselani, genießt ebenfalls den Ruf eines unsicheren Gesellen. Sie mögen den Konflikt auch aus eigenem Interesse anheizen. Schließlich sollen im Oktober Wahlen abgehalten werden...